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Radtour durch den Westen Kanadas

Joachim Treptow 2005

G2: LOGOd
G1: 90km_out
G3: paul

Nach meiner Landung in Calgary musste ich ein wenig enttäuscht feststellen, dass die Flugzeuggesellschaft mein Fahrrad unterwegs scheinbar verloren hatte.

Das war jedoch erst einmal nicht weiter dramatisch, da ich meine Tour erst in 4 Tagen beginnen würde, und da die Flugzeuggesellschaften bisher jedes Mal mein Fahrrad verloren hatten, es jedoch immer am nächsten Tag bis vor die Haustür lieferten...

Dem war dieses Mal nicht ganz so, doch um eine lange Geschichte kurz zu machen: Am Vorabend meines Tourbeginns nach Jasper konnte ich mein Fahrrad am Flughafen abholen, es wurde versehentlich nach Vancouver geflogen und dann über Calgary zurück nach Lethbridge gebracht.

Die Tour konnte also beginnen, und nach 4 Tagen Spaß, gutem Essen und hervorragendem Wetter in Lethbridge machten Paul (mein Gastbruder aus meiner Kanadazeit 1999) und ich uns dann auf nach Jasper, was immerhin noch 643 Kilometer von uns entfernt lag.

Die Landschaft unterwegs war wirklich grandios, und bereitete mich schon ein wenig auf das vor, was mir British Columbia landschaftlich zu bieten hatte.

G4: columbia-icefields

Der Höhepunkt auf dieser Tour war das Columbia Icefield, ein Gletscher auf den überwiegend deutsche Touristen zu völlig unverschämten Preisen mit futuristisch aussehenden Bussen fahren konnten. Wir stiegen dort kurz aus um vor den Bussen zu posieren, und hier merkte ich dann zum ersten Mal, was mir British Columbia zu dieser Jahreszeit neben der grandiosen Landschaft noch zu bieten hatte: Beißende Kälte!

Wir verkrochen uns so schnell wie möglich wieder im Auto und fuhren dann bis nach Jasper, wo wir für 24 $ einen winzigen Campingplatz bekamen. Paul erklärte sich bereit die erste Nacht mit mir auf dem Campingplatz zu verbringen. Nach einem ausgewogenem Abendmahl bei A&W (Pappa Burger, Pommes, Root Beer) fuhren wir wieder zum Campingplatz und ich bekam das erste Mal echte Sorgen, dass ich den Temperaturen mit dem was ich eingepackt hatte nicht gewachsen sein würde.

Die Nacht verbrachten wir dann mehr zitternd als schlafend bei -4° C in meinem Zelt.

Tag 1 (155.40 km, 8:13:30 Fahrzeit)

G5: tent 

Paul und ich wachten schon enorm früh auf, da einen die Kälte kaum schlafen ließ. Das Zelt hatte über Nacht eine nette Glasur aus Frost bekommen, die ich bei den Temperaturen vor dem Einpacken leider nicht beseitigen konnte. Dies führte dazu, dass das Zelt wesentlich schwerer wurde und mich seit dem durch seinen dezenten Modergeruch immer wieder an diese Nacht erinnert.

G6: jasper

Wir aßen schnell ein paar Bagel mit Honig die ich ich mir für diesen Zweck extra eingepackt hatte und packten alles zusammen. Um 8:00 wollte jemand auf Pauls Handy anrufen, der mich vor meiner Abfahrt noch kurz zu  Bike for Bears  interviewen wollte. Um 8:00 klingelte dann auch das Handy, und der Reporter sagte mir, dass er mich erst in einer Stunde, also um 8:00 Uhr anrufen würde. Zu dem Zeitpunkt wurde mir dann bewusst, dass der Reporter aus Vancouver war (Yukon Standard Time), ich mich jedoch noch ca. eine Stunde Fahrt von dieser Zeitzone entfernt befand. Wir verstanden zwar nicht, warum die Uhrzeit für ein Interview so wichtig sei, schlugen die extra Stunde jedoch Kaffee trinkend in der Innenstadt von Jasper tot.

Als dann das Telefon endlich klingelte und der Reporter mir sagte, dass ich in einer Minute live auf Sendung sei, verstand ich endlich, dass die Person entgegen meiner Erwartungen kein Zeitungsreporter war.

G7: 70_min_past_jasper

So erlangte ich also durch ein sehr lustiges Live Interview in der Vancouver Morning Show (im Hintergrund liefen Bilder vom Shelter und der ehemaligen Bike for Bears-Homepage www.bikeforbears.de) temporären Ruhm in ganz British Columbia.

Um 10:00 Uhr verließ ich dann endlich, viel später als geplant, Jasper und begann Bike for Bears bei sonnigen 12° C.

Schon nach den ersten 19 Kilometern sah ich dann auch meine ersten beiden Schwarzbären, diese waren jedoch zu weit entfernt, als dass ein Bild lohnenswert gewesen wäre. Im Laufe des Tages gesellten sich zu der Sammlung gesichteter Wildtiere auch noch 1 Elch, 1 Fuchs und ein weiterer Schwarzbär.

Nach genau 100 Kilometern erreichte ich Mount Robson, den mit 3954 Metern höchsten Berg der kanadischen Rocky Mountains. Der Berg ist malerisch schön und liegt im Mount Robson Provincial Park, der als Teil der kanadischen Rocky Mountains 1990 zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt wurde.

Das Einzige was die Schönheit des Berges ein wenig zu mildern vermochte war der riesige Parkplatz der um das Besuchsinformationszentrum am Fuße des Berges herumgebaut wurde und zum Zeitpunkt meines Besuches von unzähligen riesigen Wohnmobilen belagert wurde. Nach einem eher magerem und dennoch enorm teurem Mittagessen verließ ich Mount Robson dann weiter Richtung McBride.

G8: mount_robson

Kurz nach Mount Robson kamen mir 2 Motorradfahrer entgegen, die wie verrückt winkten, hupten und mir Daumen hoch zeigten. Diese beiden hatten ganz offensichtlich beim Frühstück heute morgen die Vancouver Morning Show gesehen und fanden mein Projekt gut. Ich fühlte mich daraufhin wirklich super und in dem was ich machte bestätigt, und fuhr voll neuer Energie und Motivation doppelt so schnell weiter wie vorher.

Dieser Energieschub hielt ganze 7 Minuten an, also genau bis zu dem Moment, in dem ein Pick-up Truck dicht an mir vorbeirauschte, die Faust aus dem Fenster hielt und mir "Get off the fucking shoulder" zubrüllte (Shoulder ist der Seitenstreifen der Straße auf dem ich durchgehend aus Mangel an Alternativen fuhr).

Der Rest der Tages verlief ohne weitere Vorkommnisse. Die letzten 30 Kilometer der Tagesetappe fühlten sich wie 30 Stunden beim Zahnarzt an (Gegenwind, Kälte, Knieschmerzen, Hunger, Durst). Als ich dann endlich abends einen Zeltplatz fand, hatte ich meine mir selbst gesteckte Tagesetappe überboten und Dunster bereits hinter mir gelassen.

G9: still_day_1

Der Besitzer des Zeltplatzes erkannte mich ebenfalls aus dem Fernsehen und gratulierte mir zu meiner ersten absolvierten Tagesetappe.

Die Idee mir einen Platz zum Camping umsonst zu geben kam ihm jedoch leider nicht.

Ich baute also mein Zelt neben einer Menge großer LKW auf, kochte mir eine Tütensuppe, trank nach Plastik schmeckendes Wasser aus meiner Trinkflasche und fiel nahezu ohnmächtig in den Schlaf.

Tag 2 (164.79 km, 10:18:00 Fahrzeit)

Wow, King Creek Zeltplatz, im Aral Schlummeratlas sicherlich nicht als Oase der Ruhe angepriesen.

Der Highway direkt neben dem Zeltplatz sorgte für ein Gefühl als ob ich direkt auf dem Mittelstreifen beim Autobahnkreuz Mannheim gezeltet hätte. Das die LKWs neben meinem Zelt schon um 3:50 Uhr morgens losfuhren um zu arbeiten half auch nicht gerade. Dazu kam eine unangenehm feuchte Kälte von -3° C, und so kam es, dass ich den Zeltplatz frisch geduscht bereits um 7:00Uhr morgens verließ. Mit Handschuhen und langer Hose ging es dann erst einmal 15 Kilometer nach McBride, einer recht harmlosen, typisch nordamerikanischen Stadt, die jedoch im lokalen IGA Supermarkt ein Backwarenangebot hatte, wie ich es so in Kanada noch nie gesehen hatte. 

Hier deckte ich mich also erst einmal mit übertrieben viel Gebäck ein und verspeiste so zum Frühstück dann 4 riesige Karotten-Muffins, 2 Schoko-Chip Kekse, 1nen Nusskeks, 1ne Apfeltasche und dazu einen halben Liter Schokomilch.

G10: oh_no

Während ich dies auf der kleinen Sitzbank vor der richtigen Bank der Stadt verspeiste sprach mich ein Einwohner McBrides an, ob ich nicht der junge Deutsche aus den Nachrichten sei. Ihm gefiel mein Projekt und er gab mir spontan 20$ für den Wildlife Shelter mit.

Nach meinem üppigem Frühstück überlegte ich mir dann McBride zu verlassen, um den schlechtesten Tag meiner Tour zu beginnen. Am Ortsausgang sagte mir eine nette Dame dann noch, dass es heute ein besonders schöner Tag werden würde... sie sollte sich irren!

Kurz hinter McBride wurde dann durch ein Verkehrsschild offensichtlich, was ich durch vorherigen Blick auf meine Karte schon befürchtet hatte: 202 Kilometer Nichts! Nichts außer langer Straßen, wenig Verkehr und endloser Nadelbäume. 202 Kilometer keine Möglichkeit Essen zu kaufen, zu telefonieren, Trinken zu kaufen oder Minigolf zu spielen.

Die Strecke ist mir sowohl als besonders anstrengend als auch als besonders langweilig in Erinnerung geblieben. Einerseits hatten mich die grandiosen Berge und Bergketten um mich herum bereits seit einigen Kilometern verlassen und an Ihre Stelle traten Weideflächen und Bäume. Andererseits gab es ein ständiges und zermürbendes Auf und Ab kleinster Berge, was die Knie schon sehr bald in Pudding verwandelte.  

Das einzig Interessante war, dass ich hier zum ersten Mal Fahrradfahrer traf. Bei diesen handelte es sich vorwiegend um Europäer. Die ersten beiden waren 2 Franzosen auf einem Tandem mit einer spannenden Hängerkonstruktion auf dem Weg von Anchorage nach Banff. Solche Treffen waren immer schöne Gelegenheiten, Bilder von einander machen zu können, da diese Gelegenheiten ohne Stativ sonst wirklich rar waren.

Die nächsten Beiden waren 2 Deutsche auf dem Weg von Fairbanks nach Las Vegas, die sich durch ihre unzerstörbaren PET Flaschen (die es in Nordamerika nicht gibt) schon viele Freunde unterwegs gemacht hatten. Danach kam noch ein Japaner der von Fairbanks nach Kalifornien unterwegs war.

Das lustige war übrigens, dass viele der mir entgegenkommenden Radfahrer schon seit mehreren Wochen genau die gleiche Strecke fuhren, und obwohl ich sie im Abstand von wenigen Stunden traf, hatten sie sich gegenseitig noch nie getroffen.

Das Furchtbare an dem heutigen Streckenabschnitt waren neben dem ständigen Auf und Ab die teilweise furchtbaren Ausblicke auf was da noch kommen würde. Ich konnte oft schon den genauen Streckenverlauf der nächsten 10 Kilometer sehen...

Um 17:00 gesellte sich dann ein wenig Nieselregen zu den unangenehmen Ausblicken dazu. Nicht genug Regen, um sich ernsthaft Gedanken über Regenkleidung zu machen.

Um 17:15 regnete es bereits so stark, dass ich keine Regenkleidung mehr anziehen konnte, da das etwa 10sekündige Herraussuchen meiner Regenkleidung aus der Satteltasche diese bereits komplett geflutet hätte.

Im Umkreis von 4 Fahrradstunden geradeaus oder 5 Stunden zurück gab es absolut keine Hütte, keinen Baum oder sonstigen Schutz vor Wind und Regen. Ich fuhr also weiter so gut es ging.

Die Temperatur betrug jetzt mollige 9° C. Ich bin komplett durchgeweicht, meine Schuhe drücken bei jeder Pedalumrundung ein paar Spritzer Regenwasser zum Socken herraus. Die Sichtweite beträgt dafür aber mittlerweile höchstens noch 700 Meter. Wenigstens muss ich so nicht mehr sehen, wie weit ich noch fahren muss.

Ich werde hungrig und fange am ganzen Körper vor Kälte an zu zittern. Leider habe ich außer Weiterfahren keine Alternative. Im Regen einfach am Straßenrand mein Zelt aufzubauen wäre nicht nur umständlich und illegal, es wäre außerdem nahezu unmöglich wieder halbwegs warm oder trocken zu werden. Also Weiterfahren bis ich auf so etwas wie Zivilisation stoße.

Neben der Kälte und dem kalten Dauerregen gesellt sich jetzt auch noch die Dunkelheit dazu.

Das ist nicht nur unangenehm weil es schwieriger ist zu sehen, sondern auch deshalb, weil es schwieriger ist, gesehen zu werden. Die vorbeirauschenden Holztransporte bewiesen mir nur all zu oft, dass sie mich spät oder oft gar nicht wahrgenommen hatten. Das führte dann dazu, dass ich jedes mal wenn sich ein Truck näherte mein Fahrrad so gut es geht von der Fahrbahn schob und die anrauschende Gefahr vorüber fahren ließ. Dies minimiert meine Geschwindigkeit auf ein kaum erträgliches Maß. Die Situation ist wirklich zermürbend, besonders da ich nicht weiß, wie weit ich denn eigentlich noch fahren muss. Gelegentlich gibt es immer wieder private Zeltplätze entlang der Straße, genau das, wonach ich jetzt suche, aber seit ca. 100 Kilometern habe ich davon keinen mehr gesehen. In Karten sind diese Zeltplätze auch nicht eingetragen.

Um 21:00 kommt dann endlich ein Schild, auf dem ein Zeltplatz (Purden Lake) angepriesen wird. Mir geht es mittlerweile enorm schlecht, ich zittere unaufhörlich am ganzen Körper und spiele mit dem Gedanken, das ganze Projekt genau hier zu beenden. Ich weiß gar nicht, wann ich dem Heulen das letzte Mal so nahe gewesen bin. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Auffinden des Zeltplatzes sowie einem kurzzeitigen Kampf gegen einen Zeltplatz-Wachhund wird mir dann letztendlich doch noch ein Platz zugewiesen. Um 21:30 rolle ich meine Ridge-Rest Matte stattdessen in einem angrenzenden, halbseitig offenem Schuppen aus, in dem tagsüber jemand Metallzäune gestrichen hat.

Es stinkt nach Farbe und Verdünner, es ist mölig, der Betonboden ist hart und über mir flackert eine Glühbirne die nicht auszustellen ist. Doch mein Zelt bei diesem Wetter aufzubauen steht für mich außer Frage.

Für 2 $ nehme ich die beste und wohl heißeste Dusche meines Lebens und taue ganz langsam ansatzweise wieder auf. Was aus meiner Satteltasche noch trocken ist ziehe ich alles an, alles andere lege ich erst einmal neben mir auf den kalten Betonboden. Das Resultat des heutigen Tages sind neben intensiven Knieschmerzen im rechten Knie eine komplett durchgeweichte Ausrüstung (Schuhe, Fahrradhose, Windstopper, Socken, Unterhose, Biking Shirt) sowie eine komplett aufgeweichte British Columbia Straßenkarte.

G11: mess

Um den Tag wenigstens noch ein wenig zu retten besucht mich Tim aus seinem Wohnwagen von gegenüber, bringt mir 2 Bier und fragt besorgt, ob er sonst etwas für mich tun kann. Ich gebe wohl ein ziemlich elendiges Bild ab wie ich zusammengekauert auf dem Betonboden vor mich hin friere.

In der Hoffnung morgen früh einen Trockner zu finden lüge ich das es mir gut geht, koche mir einen Packung serbischen Eintopf  und falle zitternd zum Geräusch des Regens in meinen wohlverdienten Schlaf

Tag 3 (79.63 km 5:18:42 Fahrzeit)

Der Regen hat aufgehört.

Der Zeltplatz auf dem ich mich befinde ist richtig hübsch und direkt an einem großen See gelegen. Bevor sich meine Laune jedoch zu sehr hebt schaue ich mich um und entdecke meine durchweichten Sachen. Ich versuche meine Straßenkarte auseinanderzufalten, aber sie zerreißt dabei nässebedingt völlig. In meinen Schuhen steht noch immer das Wasser von gestern.

G12: tim

Tim kommt aus seinem Wohnwagen und begrüßt mich mit heißem Tee und frischem Toast. Wenigstens das hebt die Stimmung.

Meine Schlafmatte hat über Nacht ein paar interessante grüne Farbflecken bekommen.

Die chemischen Dämpfe der Nacht haben mir wahrscheinlich 3 Jahre meines Lebens geraubt (hoffentlich nicht die Besten...).

Während ich meinen Tee trinke und mein Toast esse erzählt mir Tim, ein Kriegsveteran aus alten Zeiten, wie er die bessere Zeit des Jahres immer an diesem Campingplatz lebt und nur den Winter in seiner Wohnung verbringt. Er erzählt mir wilde Geschichten von einem Grizzlybären der seine Tochter und seinen Hund vor 3 Jahren quer über den Zeltplatz jagte und im Endeffekt erschossen werden musste.

Seiner Tochter und seinem Hund geht es im Gegensatz zu dem Grizzlybären noch immer gut.

Am Ende der Unterhaltung schenkt mir Tim noch einen Dollar für den Trockner im Nebenraum, der sich nach kurzer Überprüfung jedoch als abgeschlossen entpuppt. Den Dollar durfte ich trotzdem behalten...

Das ist der Nachteil, wenn man in der Nebensaison zeltet. Die meisten Zeltplätze sind schon geschlossen oder operieren nur noch auf Sparflamme.

Ich packte also alles was nass war in eine Plastiktüte und zog mir 3 paar Socken übereinander um die Nässe meiner Schuhe vorübergehend von meinen Füssen fern zu halten.

Ein innovativer und selbst ausgedachter Outdoor-Trick, der sich ganze 12 Minuten lang bewähren würde.

Als Abschiedsgeschenk gab mir Tim noch eine großartige Straßenkarte als Geschenk mit. Eine laminierte Version meiner Zerstörten, die sich in alle Himmelsrichtungen biegen und falten ließ. Sehr praktisch, sehr nötig!

Ich steckte mir wie jeden Morgen zusammengeknülltes Klopapier gegen den kalten Morgenwind in die Ohren und brach dann noch ein wenig geschwächt vom Vortag auf.

Nach 3 Kilometern bemerkte ich dann, dass ich 3 paar völlig nasse Socken anhatte, und dass dies sowohl kalt als auch ziemlich unangenehm war.

Außerdem hatte ich Druckstellen an meinen Füssen, die ich mit nur einem Paar Socken nie bekommen hätte...

Auf dem Weg nach Prince George, einer Strecke die unter normalen Umständen ein Witz wäre, traf ich dann noch auf Laurent. Ein netter Schweizer der mit mir spontan am Straßenrand erst einmal Frühstück aß. Auch er radelte wie schon alle anderen Radfahrer vor ihm gen Süden, er mit dem Ziel Vancouver (was auch sein Ausgangspunkt der Reise war).

Als ich ihn traf wurde mir übrigens bewusst, dass ich mir das Stück Klopapier heute morgen entweder zu klein gerissen hatte, zu tief ins Ohr gesteckt hatte oder gar beides. Fakt war auf jeden Fall, dass es spontan nicht wieder aus meinem linken Ohr heraus wollte. Meine Unterhaltung mit Laurent war also halb dumpf.

Laurent hatte, genau wie alle anderen Radfahrer und auch ich, Bärenspray dabei. Auch er hatte ihn noch nicht benutzt, und wie der Zufall es so wollte war der einzige Bär den er während seiner gesamten Tour gesehen hatte aus Smithers. Es bestand also noch Hoffnung für ein Fotoshooting...

Nach der netten Begegnung und dem Austausch der Adressen ging es dann weiter, die scheinbar durchgehend bergauf führende und mit stetigem und starkem Gegenwind aufwartende Strecke bis nach Prince George wo ich dann hoffentlich einen Wäschetrockner finden würde. Und mit etwas Glück auch eine nette Krankenschwester, die mir das Stück Papier aus dem Ohr holen würde, was ich kurz nach Laurents Verschwinden mit allen Hilfsmitteln die mir zur Verfügung standen nur noch weiter in das Innere meines Kopfes versenkt hatte.

G13: prince_george

Nach einer furchtbar langen Zeit mit einer recht peinlichen Durchschnittsgeschwindigkeit erreichte ich dann letztendlich doch noch Prince George. Es fällt mir schwer etwas Gutes über Prince George zu sagen, eine Stadt die sich selbst "die nördliche Hauptstadt British Columbias" nennt. Deshalb werde ich an dieser Stelle also schweigen.

In Prince George bin ich dann erst einmal zur Touristen Informationstelle gegangen, die mir eine Stadtkarte schenkte auf der liebevoll ein Waschsalon, ein Krankenhaus und ein Ort mit Internetzugang aufgezeichnet wurden. Als erstes fuhr ich den Waschsalon an, da ich unter allen Umständen vermeiden wollte, dass meine Fahrradkleidung einen ähnlichen Geruch wie mein Zelt annehmen würde. Nachdem ich alles was ich an Kleidung besaß für 75 cents getrocknet hatte machte ich mich auf zum Krankenhaus, um endlich von dem unangenehmen Gefühl in meinem Ohr befreit zu werden.

Im Krankenhaus durfte ich dann feststellen, dass unsinnige Bürokratie nicht nur in Deutschland gefeiert wird. Nach einer kurzen Erklärung und der Bitte um eine Krankenschwester oder einen Arzt mit nur 3 Sekunden Zeit sagte man mir, dass ich mich in der Notaufnahme melden muss. Hier müsste ich dann ca. 5 Seiten Formulare ausfüllen und 2 bis 3 Stunden warten. Als Bonus bekäme ich dann noch eine horrende Krankenhausrechnung obendrauf.

Ich entschied mich für Tor 2: Ich verließ das Krankenhaus, radelte zu London Drugs und kaufte mir dort für eine Pinzette. Danach suchte ich mir eine abgelegene dunkle Ecke in Prince George und nutzte meine neue Errungenschaft im Blindflug für sage und schreibe 14 Minuten; 14 Minuten an die ich mich nur ungerne zurück erinnere...

Ohne das lästige Stück Klopapier oder auch nur ein einziges übrig gebliebenes Haar in meinem linken Ohr radelte ich dann mit feuchten Augen zur Bibliothek der Stadt. Hier gab es kostenlosen Internetzugang. Für mich interessant um zu sehen, ob mir Leute unterwegs gemailt hatten um Ihre Spenden für Bike for Bears anzukündigen.

Die Bibliothek selbst war nicht weiter erwähnenswert, besonders da ich 5 Stunden hätte warten müssen um einen Computer zu bekommen.

Erwähnenswert war jedoch der Radfahrer der sich vor dem Platz an der Bibliothek aufhielt. Er hatte ca. 4 mal so viel Gepäck dabei wie ich und sah aus, als ob er unterwegs nach Kap Hoorn war.

Hier unsere Unterhaltung.

  Ich: "Hey, where are you heading?"

  Er: "That depends on where my money-purse will take me!" (Mit einem deutschen Akzent wie man ihn sonst nur von Hollywood Bösewichten kennt)

  Ich: "Where are you from?"

  Er: "Bavaria" (Nicht Germany, nein, Bavaria! Dazu ein Tonfall, als ob er gerade sagen würde, dass er aus purem Gold ist)

  Ich: "Me too!"

  Er: "Das glaube ich Dir nicht!" 

  Ich: "Doch doch, ich komm aus München"

  Er: "Du bist vielleicht zugezogen, aber Du bist doch ein scheiß Preuße"

  Ich: "Bitte was?"

  Er: "Das hör ich doch an Deinem dreckigen Akzent"  

An diesem Punkt überlegte ich mir, dass diese Unterhaltung zwar sicherlich interessant werden würde, ich jedoch besseres zu tun hatte, als mich von einem Fremden beleidigen zu lassen. Außerdem überlegte ich mir, dass nicht jeder Deutsche Radfahrer in B.C. einen guten Eindruck hinterlässt. Ich machte mich also auf meinen neu gewonnenen Freund zu verlassen. Dieser reagierte darauf mit einer Salve an Beleidigungen, an die ich mich leider nicht mehr genau erinnern kann. Irgend etwas mit Preußen, Nazis, Schweinen und meiner Mutter. Als ich schon eine recht nette Distanz zu ihm hatte rief er mir noch quer über den Platz "...und grüß mir Schröder, den Vaterlandsverräter" hinterher.

Hoffen wir, dass seine Money Purse ihn bald wieder nach Hause bringt...

Ich wollte ihn noch fotografieren, hatte jedoch Angst um meine Kamera.

Ich fuhr daraufhin in ein kleines Cafe in dem ich Zugang zum Internet bekam. London Drugs wollte nicht, dass ich mein Fahrrad in die Verkaufsräume schiebe, während ich deren Internetterminals benutze. Sie "verkaufen schließlich genau die gleichen Räder..." Sattel- und Lenkertaschen abmachen kam gar nicht in Frage. An dieser Stelle also Danke an die netten Damen von Taste Buds die mich mein Fahrrad mitten ins Cafe schieben ließen.

Es kamen seid Abfahrt noch einmal ca. 500 $ an Spenden dazu.

Nach kurzer telefonischer Kontaktaufnahme mit meinem Medien-Kontakt (die Dame hat alle Interviews unterwegs für mich organisiert) bekam ich die Nummer von einem lokalen Nachrichtensender der Interesse an meiner Aktion hatte wie auch die Nummer von der Tochter der Wildlife Shelter Familie.

G14: PG_TV

Beide kamen spontan zur Telefonzelle von der aus ich alle anrief, und nach einem kurzen Interview mit Prince George TV wurde ich von Tanja (der eben erwähnten Tochter) und Ihrer besten Freundin verwöhnt. Erst gab es Essen in einem kleinen Restaurant, dann Kino (Brothers Grimm, unbedingt vermeiden wenn es geht) mit Popcorn und allem drum und dran und dann noch mal ein 3 stündiges Mahl bei Dennys. Danach hätte ich fast noch ein Hotelzimmer angedreht bekommen, aber mir war klar, dass ich danach nie wieder in mein Zelt zurück wollen würde. Ich ließ mich jedoch zum lokalen Zeltplatz begleiten.

Ein Zeltplatz gegen den King Creek wie das Paradies auf Erden erscheint. Dreckig ist gar kein Wort um diesen Platz zu beschreiben.

Um 0:45 Uhr schlief ich bei 4° C mehr oder minder friedlich ein.

Tag 4 (138.32 km 8:11:59 Fahrzeit)

Wow, was für eine Nacht, was für ein Zeltplatz. Der Zeltplatz war tatsächlich so dreckig, dass man nicht mal draußen im Stehen pinkeln mochte. Gute dass ich mein Zelt im Dunkeln aufgebaut hatte...

Bei 6° C bin ich gleich morgens gut vorangekommen und habe meine Frühstückspause nach genau 30 Kilometern am Straßenrand gemacht. Es gab bei windigen 9° C und Highway-Panorama Bagel mit Honig, Beef Jerkey, Trail Mix, Pudding und Bier (letzteres beides noch von Tim) sowie leckeres Plastik-Wasser aus meiner Trinkflasche.

G16: its_raining_man G15: good_night

Gut gesättigt radelte ich dann weiter um kam um 15:15 Uhr, wieder mal komplett vollgeregnet, in Vanderhoof an. Vanderhoof war trotz seines vielversprechenden Namens wieder mal eine typische Nordamerikanische Stadt, die durch eine andere beliebig austauschbar wäre. Hier deckte ich mich im Supermarkt mit neuen Gatorade-Getränkeflaschen und, leider ekligem, Beef Jerkey ein. Dazu noch eine Packung Chips und eine Dose Campbells Chunky Chilli. Das würde ein richtiges Festessen heute Abend werden! Im Supermarkt erkannte mich eine Gruppe Jugendlicher aus dem Fernsehen vom Vorabend. Anstatt mich jedoch zu verprügeln inspizierten sie hochinteressiert mein Fahrrad, versuchten es alle einmal hochzuheben, bekundeten ihr Interesse an der Aktion (Why don't you just fucking sleep in a fucking ditch?") und ließen mich dann weiterziehen. Beim Verlassen der Stadt kaufte ich mir noch 2 Pappa Burger bei A&W als gesundes Mittag, nicht weil sie gut schmecken, sondern weil sie im Angebot waren. Dazu trank ich einen Karton Schokomilch aus dem Supermarkt, was die Angestellten von A&W glaube ich nicht so richtig zu schätzen wussten. Dann machte ich mich wieder auf und wurde beim Verlassen der Stadt mit dem ersten Verkehrschild seit Jasper das Smithers erwähnte glücklich gestimmt.

Dann, nur 10 Kilometer hinter Vanderhoof, ein weiterer Höhepunkt des Tages: Ich werde zum dritten Mal an diesem Tag komplett vollgeregnet. 

Es war so nervig, dass es schon wieder lustig war. Die häufigen Regenschauer der letzten Tage erklären übrigens, neben der langweiligen Landschaft, den Mangel an guten Fotos. Ich wollte die Kamera bei Regen einfach nicht benutzen, wozu auch? Hier ein Foto, dass ich kurz nach einem Regenschauer kurz vor Fraser Lake aufgenommen habe.

Kurz vor Fraser Lake laufe ich dann den Pipers Glenn Campingplatz an. Es ist noch hell, ich bin noch nicht kaputt, es regnet nicht. Mit anderen Worten: Alles bestens.

Die Campingplatzgebühr wird mir außerdem erlassen, da mich die Besitzerin des Campingplatzes in den Nachrichten gesehen und wiedererkannt hatte.

Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen sind die Duschen umsonst. Besser geht es nun wirklich nicht. Die schöne Landschaft, die kostenlose Übernachtung und jetzt noch Chunky Chilli und Chips, es geht mir gut!

Nach dem Essen gehe ich zum Telefon am Haupteingang um mich mal in Deutschland zu melden. Um niemanden zu Hause aus seiner verdienten Nachtruhe zu reißen frage ich 4 Wohnmobil-Cowboys auf dem Nachbarplatz nach der Uhrzeit (-9 Stunden = Uhrzeit in BRD). Wie sich herausstellte, kamen die 4 aus der Nähe von Innsbruck und waren allesamt Zugfahrer der östereichischen Bahn. Sie befanden sich in der Mitte Ihres Kanadaurlaubs. Ein Lagerfeuer vor dem Wohnmobil, wirklich nette Bahner und eine Menge selbstgebrannter Schnaps luden mich zum Verweilen ein. Leicht angeheitert redeten Helmut, Helmut, Kurt, Arni und ich dann über alles vom Zugfahren in Europa, Telefonieren nach Deutschland und Obstler bis hin zur absoluten Kommerzialisierung der letzten schönen Ecken Kanadas. Sehr angenehme Stunden in einer sehr heiteren Umgebung. Einer der beiden Helmuts unterstütze mein Projekt dann sogar noch mit 20$ als Spende. Danke noch einmal an dieser Stelle!!

G17: bahn

Nach einigen Stunden torkelte ich dann in mein Zelt und schlief so gut wie noch nie zuvor.

Ein insgesamt guter Tag ohne viel Stress.

Ohne meine fiesen Knieschmerzen (einseitig) würde ich sogar zu behaupten wagen, dass es mir gut geht und ich richtig viel Spaß habe...

Tag 5 (138.68 km 8:24:37 Fahrzeit)

Beim Schreiben fällt mir jetzt zum ersten Mal auf, dass ich fast exakt die gleiche Strecke zurückgelegt habe wie am Vortag... lustiger Zufall.

Früh aufgewacht, früh abgehauen. Kleine Verzögerung gleich am Morgen dadurch, dass die Campingplatz Besitzerin meine Satteltasche mit dem Essen auf Grund gesehener Bären eingeschlossen hatte, ich jedoch so früh nicht wieder ins Büro kam...

Dann gleich früh morgens ein absoluter Streckenrekord: Für die 10 Kilometer nach Fraser Lake habe ich genau 61 Minuten gebraucht...

G18: flake

In Fraser Lake wurde ich noch einmal erkannt und bekam so noch einmal einen 20$ Check von einer netten alten Dame. Ansonsten lässt sich über Fraser Lake, trotz seines idyllischen Namens, nur sagen, dass man dort getrost durchfahren kann.

Die gesamte Stadt besteht aus einem Parkplatz mit angrenzenden Geschäften, einer Tankstelle und 1ner Telefonzelle. Die gesamte Stadt passt auf ein Foto, und das musste deshalb natürlich auch gleich geschossen werden. Ich glaube als Postkartenmotiv würde das Foto wahrscheinlich nicht taugen.

Trotz des schönen Wetters habe ich hier an genau dieser Stelle ein absolutes Motivationstief.

Ich habe absolut 0 Lust auch nur einen Kilometer weiterzuradeln. Deshalb vertelefoniere ich 3 Telefonkarten in der Zelle und schlage so fast eine ganze Stunde tot. Danach kaufe ich mir viel zu viel Frühstück im Supermarkt und esse alles, wo auch sonst, vor der Telefonzelle. Eine weitere halbe Stunde vergeht.

Mehr fällt mir leider nicht wie ich die Zeit totschlagen könnte, und so mache ich mich, lustlos wie noch nie, wieder daran Smithers ein wenig näher zu kommen.

Unterwegs überlege ich mir dann, einfach nur bis nach Burns Lake zu fahren, und mich von dort per Anhalter bis nach Houston mitnehmen zu lassen. Das hat den Vorteil, dass ich mein mittlerweile sehr stark schmerzendes Knie ein wenig entlasten kann, und außerdem, dass ich morgen nur noch eine winzige Strecke bis nach Smithers zu überbrücken hätte. Das Ganze kam mir auch sehr gelegen, da meine Gangschaltung anfing ein wenig rumzuspinnen. Die per Anhalter gefahrenen Kilometer würden natürlich nicht zum Spendenprojekt zählen. Ich rechnete mir hervorragende Chancen aus. Ein netter junger Mann mit Fahrrad, warum sollte man den nicht mitnehmen? Jedes zweite Auto hier war sowieso ein hoffnungslos unterbesetzter Pick Up Truck (1 Fahrer, leere Ladefläche). Ich radelte also guter Dinge Richtung Burns Lake.

Kurz vor Burns Lake gab es einen wirklich schönen Rastplatz, auf dem ich erst meine Satteltaschen leer aß und auf dem ich dann, völlig relaxt durch die wunderbare Uhrzeit und meinem tollen Plan, Mittagsschlaf machte. Man, war das schön. Jetzt schlafen, aufwachen, per Anhalter nach Houston, morgen noch 60 Kilometer und alles ist geritzt.

Ich bin so gut wie fertig mit dem Radfahren, mir geht es, wieder einmal, gut!

Beim Aufwachen geht es mir sogar so gut, dass ich mir überlege, erst ein paar Kilometer hinter Burns Lake mit dem Daumen raushalten zu beginnen.

Nach 10 Kilometern, kurz hinter Burns Lake, beginne ich also, jedes Mal wenn sich ein Truck nähert abzusteigen und meinen Daumen rauszuhalten und natürlich möglichst nett zu grinsen. 

Wie sich nach ca. 12 Trucks herausstellt wirkt mein Grinsen auf die Nordamerikaner nicht so wie geplant. Niemand will mich mitnehmen...

Das Ganze ist sehr ungünstig für mich, da ich mittlerweile zu weit von Burns Lake entfernt bin, um dort noch zu schlafen. Selbst wenn ich noch dort wäre, wäre es eine zu heftige Tagesetappe von dort bis nach Smithers am nächsten Tag. Es wird außerdem schon spät, und meiner Karte nach zu urteilen befinde ich mich mal wieder auf einem dieser grandiosen Streckenabschnitte, wo vor und hinter mir nichts liegt...

Per Anhalter fahren - Super Idee Achi!

Wenn man aufwacht und sich überlegt, dass man am heutigen Tag 160 Kilometer fahren will, dann ist man nach 120 Kilometern noch immer fit. Wenn man jedoch aufwacht und sich überlegt, nach 80 Kilometern das Handtuch zu werfen, dann wird jeder Kilometer ab dem 81. zur absoluten Qual. 120 Kilometer scheinen dann völlig unmöglich!

G19: i_can_see_smithers

Ich quälte mich also bergauf und bergab der Dunkelheit entgegen und fand nichts was einer passablen Nächtigungsstätte entsprechen würde.

Hier ergab sich übrigens ganz langsam zum ersten Mal die Gelegenheit Smithers "sehen zu können". Ich wusste, dass es am Fuße der Berge liegen würde, die jetzt zum ersten Mal sichtbar wurden.

Also ich ein entgegenkommendes Fahrzeug durch wildes Herumgezapple auf meinem Fahrrad zum Stoppen bewegen kann, erzählt mir der Fahrer, dass es in ca. 5 Kilometern einen Campingplatz gäbe.

Yuhuu!!

Leider stellte sich nach ca. 10 Kilometern heraus, dass dieser Campingplatz seine letzten Gäste vor ca. 13 Jahren beherbergte. Jetzt war von dieser Einrichtung nicht mehr viel übrig.

Ich entschied mich also im Dunkeln bis nach Topley zu fahren, eine Stadt die in meiner Straßenkarte nicht sehr vielversprechend als "bewohnter Platz mit weniger als 1000 Einwohnern" angepriesen wurde.

Um kurz vor 22:00 Uhr komme ich dann auch dort an. Was für eine Stadt...

Ich fragte am Supermarkt/Pizzeria/Restaurant/LiqourStore/Hotel/Rathaus nach einer Möglichkeit zum Zelten. Alle 4 Einwohner Topleys beschrieben mir daraufhin den Weg zum Campingplatz (da rechts) und rieten mir jedoch dazu, auf dem Rastplatz zu zelten (bißchen weiter rechts).

Rastplatz klang ganz gut, hatte jedoch den Nachteil, dass es a) illegal war und b) alle Einwohner Topleys mich wahrscheinlich nachts besuchen würden.

Ich entschied mich also für den Campingplatz...

Beim 2. Versuch traf ich dort sogar Jemanden an (nach dem 1. Versuch radelte ich noch mal zum oben erwähnten Gebäude um mir einen Snickers zu kaufen).

Der Campingplatz gehörte einem älteren Ehepaar, die es sich nicht nehmen ließen, um 22:30 Uhr bei ca. 2° C mit mir knapp eine Stunde an der Haustür (sie drinnen, ich draußen) über Gott und die Welt zu reden. Als ich Ihnen von meinem Projekt erzählte waren sie ganz entzückt und erzählten, dass sie mal eine Eule zum Shelter gebracht hätten, und wie toll sie es doch finden, dass ich so eine gute Einrichtung mit einem so kreativen Projekt unterstütze.

Um ca. 23:15 Uhr sagte die Dame dann (auf englisch) folgendes: "Dir muss ja ganz kalt sein mein Junge, bau mal lieber schnell Dein Zelt auf, damit Dir wieder warm wird"... und schloss die Tür.

Da stand ich dann, zitternd und hungrig. Keine Einladung ins Haus, kein Essen, keine Dusche, kein Bett... die Unterhaltung verlief somit etwas anders als geplant.

Während ich also mein Zelt im Dunkeln im Vorgarten des Ehepaares bei mittlerweile ca. 0° C aufbaute (mir wurde dadurch entgegen aller Erwartungen der alten Dame nicht wieder warm) konnte ich die beiden am Küchenfenster sitzen und gemütlich Tee trinken sehen. Ich fühlte mich in dem Moment ein wenig wie das Mädchen mit den Schwefelhölzern von H.C. Andersen, nur dass es nicht schneite und nicht Sylvester war...

Beim Kochen meiner abendlichen Suppe fingen die beiden draußen angeleinten Hunde der Besitzer auf einmal furchtbar laut an den angrenzenden Wald anzubellen.

Der ältere Mann hatte mir noch erzählt, dass es hier oft Bären gab, und dass man an der anderen Tonlage beim Bellen der Hunde sofort erkennen würde, was auf einen zukommt.

Ich kannte die Hunde noch nicht genug, aber zusammen gaben sie in der Stunde in der ich noch wach war ein Bellkonzert in etwa 17 verschiedenen Tonlagen ab, geradwegs so, als ob sie mich in meinem kleinen Zelt verarschen wollten...

Tag 6 (99.52 km 6:27:29 Fahrzeit)

Der letzte Tag der Tour!

Ich kann nicht leugnen, mich ein wenig zu freuen.

Um 7:30 verlasse ich meinen "Campingplatz". Es gibt hier weder Wasser noch eine Toilette noch Feuerholz. Fragt man sich natürlich als Camper, warum man für so etwas wohl Geld ausgeben sollte statt einfach irgendwo wild zu campen...

Nach 30 Kilometern komme ich, ganz ohne Probleme, in Houston an.

Houston hat neben der größten Angel der Welt und dem größten Sägewerk der Welt wenig zu bieten, was Touristen aus aller Welt anlocken würde.

Was es jedoch hatte war ein A&W Restaurant, das bereits um 9:00 Uhr morgens ganze 8 Autos im Drive-through stehen hatte.

8 Autos in einem Fast Food Drive-through an einem Sonntag Morgen, an sich nichts ungewöhnliches in einer nordamerikanischen Kleinstadt.

Was einen jedoch stutzig macht ist die Tatsache, dass A&W kein Frühstücksmenue hat. Während McDonalds wenigstens noch "Hash Browns", "Bacon&Egg Bagel" oder "English Muffin mit Trans-Fat Free liquid margarine" anbietet, ist das frühstücksähnlichste was A&W zu bieten hat ein "Deluxe Bacon Double Cheeseburger mit Root Beer"...

Wer isst so etwas zum Frühstück?

G20: Chris

Leicht verwirrt kaufte ich mir eine Schokomilch im Supermarkt und trank diese zusammen mit ein paar Frückstückssachen (Muffins und Zimtbrötchen) die ich noch in meiner Satteltasche gefunden hatte.

Kurz hinter Houston wurde ich dann von Chris Corday, einem Fernsehreporter, abgefangen. Er hatte sich von Smithers aus auf den Weg gemacht, um eine kleine Geschichte über mich und mein Projekt in den Nachrichten zu bringen.

Wir hatten eine Menge Spaß Radfahrszenen nachzustellen, uns dumme Interviewfragen auszudenken und die vorbeifahrenden Autos glauben zu machen, das wir Under Cover Polizei waren, die die Geschwindigkeit überprüft (mit Stativ und Kamera sehr einfach!).

Nach einer sehr amüsanten halben Stunde war ich dann leider wieder auf mich allein gestellt. Immerhin kannte ich jetzt jemand aus Smithers und hatte eine Einladung zu einem Bier.

50 Kilometer, und alles ist vorbei...

G21: telkwa_high_road

10 Kilometer vor Smithers habe ich dann auf einem Rastplatz halt gemacht, um ein letztes Mal unterwegs zu essen und zu trinken. Als ich mir bei einem Ehepaar aus einem Wohnmobil am Rastplatz ein wenig Wasser erschnorren wollte, stellte sich heraus, dass das Ehepaar aus Stelle war. Als ich Ihnen erzählte, dass ich ursprünglich aus Lauenburg komme kochten sie mir gleich einen Kaffee und versorgten mich mit Kuchen. Es ist schon beeindrucken (oder erschreckend?!), wie viele Deutsche Touristen es hier doch gibt. Das Treffen war auf jeden Fall sehr nett.

Nach einer ausgedehnten Unterhaltung machte ich mich dann auf die letzten 10 Kilometer in Angriff zu nehmen.

Kurz vor Smithers fuhr ich durch Telkwa, und entdeckte dort hinter einem kleinen Laden die "Telkwa High Road".

Mir wurde jetzt zum ersten Mal seit ich Jasper verließ bewusst, dass ich weder die Adresse noch die Telefonnummer des Shelters mitgenommen hatte.

Ich ging also in den Laden und fragte nach dem Northern Lights Wildlife Shelter. Und siehe da: Niemand kannte ihn...

Als ich dann allerdings von "Angelika" zu sprechen anfing (ohne den Nachnamen zu erwähnen) wussten auf einmal alle Bescheid. "Ach die, ja klar, da musst Du..."

Es schien sich bei der Dame des Wildlife Shelter also um eine richtige Persönlichkeit zu handeln. Ich war beeindruckt!

Ich folgte den wirren Beschreibungen der Einheimischen und folgte der Telkwa High Road eine halbe Ewigkeit. Während dieser Zeit verließ ich mehrmals die asphaltierten Streckenabschnitte und fuhr über Straßen, die den handelsüblichen Lupo in wenigen Sekunden in seine Einzelteile zerlegt hätten.

Als ich mich am Ende der Straße wähnte (und mir sicher war, dass ich zu weit gefahren bin; das ist das Problem wenn man auf gut Glück ohne Adresse Häuser sucht, von denen man nicht weiß wie sie aussehen), störte ich 2 blonde Frauen meines Alters beim Beschlagen eines Pferdes um nach dem Weg zu fragen.

G22: yuhuu

Diese sagten mir, dass die Straße schon richtig sei, ich jedoch noch 10 Meilen ( das sind 16.09 Kilometer!!) weiter geradeaus fahren müsse.

Welche kleine Seitenstrasse in Deutschland ist denn über 20 Kilometer lang?

War aber auch egal, die Sonne schien, die Landschaft war atemberaubend und das Ende der Fahrradtour greifbar nahe.

Nach besagten 16.09 Kilometern kam ich dann auch an. Das Ganze war durch ein Schild schön zu erkennen.

Nach einer netten Begrüßung durch Angelika Langen führte mich ihr Sohnemann durchs Haus. Ich duschte, trank meine erste Coke seid einer halben Ewigkeit, setzte mich hin und schluckte ein paar Ibuprofen gegen die Knieschmerzen...

Ich war endlich angekommen!

- 6 Tage

- 776.34 Kilometer

- 46:54:17 im Sattel

Während meines gesamten Aufenthaltes im Northern Lights Wildlifeshelter fasste ich mein Fahrrad kein einziges Mal an!

Auf meinem Rückflug nach Deutschland verlor die Fluggesellschaft mein Fahrrad.

Sie lieferten es 2 Tage später direkt vor meine Haustür...

Der Northern Lights Wildlife Shelter

Ich kann meinen Bericht der Tour natürlich nicht beenden, ohne wenigstens noch eine paar Worte über die Einrichtung zu verlieren, in der ich mein Praktikum absolviert habe.

Der Shelter liegt ca. 16 Kilometer außerhalb von Smithers in einer Landschaft, wie man sie so nur aus Bilderbüchern kennt.

Die Einrichtung wird von Angelika und Peter Langen geführt, die vor einer halben Ewigkeit aus Deutschland ausgewandert sind. Nähere Infos zu den beiden gibt es links unter dem Punkt "Shelter". Fakt ist auf jeden Fall, dass die beiden dieses "Hobby" mit einer Motivation betreiben, die wirklich beeindruckend ist, besonders wenn man sich einmal überlegt, dass es enorm zeitaufwendig, kostspielig und arbeitsintensiv ist, und man nicht mehr mal eben einen Urlaub machen kann...

Der Shelter liegt weit abseits vom Tagesgeschäft der Langens (Reitschule) auf einer Anhöhe, die einen recht ordentlichen Spaziergang weit entfernt liegt und für niemanden sonst zugänglich ist.

G23: feed1

Hier gibt es mehrere Gehege, in denen sich die tierischen Besucher der Langens aufhalten.

Die Tiere werden hier lediglich gesund gepflegt und dann wieder dort in die Wildnis entlassen wo sie gefunden wurden.

Zu dem Zeitpunkt an dem ich da waren, gab es dort einen Puma, 2 Elchbabys, einen Wolf, 2 junge Schwarzbären und 2 Rehe so wie einen Uhu und ein fliegendes Eichhörnchen.

Die Elchbabys und ein paar Rehe kamen zur Fütterungszeit immer freiwillig aus dem umliegenden und in keiner Weise eingezäunten Wald. Alle anderen Tiere waren in den Gehegen.

Die Tiere kommen zum Wildlife Shelter durch besorgte Menschen die diese Wildtiere finden oder auch durch Conservation Officers, die sich in irgend einer Art und Weise um die gefunden Tiere kümmern müssen.

Das bedeutet also, dass ein Reh, was von einem Auto angefahren wird, mit etwas Glück dem Shelter berichtet wird. Hier macht sich dann umgehend jemand auf, das verletzte Tier abzuholen. Der Radius in dem dies geschieht ist nahezu unbegrenzt, da es nicht gerade viele dieser Einrichtungen gibt. Da fahren die Langens dann schon mal 10 Stunden Auto um einen kleinen Bären abzuholen der seine Mutter verloren hat.

Aber zurück zum Reh: Bei dem besagten Reh fallen dann erst einmal knapp 500$ Kosten beim Tierarzt von Smithers an. Man könnte meinen, dass dieser nur sein Material auf Grund der Herkunft des Tieres, und nicht auch noch seinen Lohn berechnet, aber weit gefehlt. Einen anderen Tierarzt gibt es nicht.

Doch wer bezahlt die Tierarztrechnungen? Das Benzin für die Fahrten? Das Milchpulver? Die Gehege?

Bisher die Langens aus ihrer eigenen Tasche, und seid etwa 4 Jahren kommen auch die ersten Spenden an.

Und das ist genau, was ich hier noch einmal betonen wollte.

Die Spenden kommen an!

Hier gibt es nicht noch eine Sekretärin und eine Buchhalterin, eine schöne Broschüre, teure Websites und bezahlte Drückerkolonnen auf der Suche nach Spendern. Nein, hier wird jeder Cent in die Tiere gesteckt, sei es für Milchpulver, Gehege oder Arztrechnungen.

Mit anderen Worten, wer hier spendet oder bereits gespendet hat, der kann sich 100%ig sicher sein, dass sein Geld genau da ankommt, wo es hinkommen soll. Ohne Verluste, ohne Umwege.

An dieser Stelle also noch einmal einen herzlichen Dank an alle die, die das Projekt unterstützt haben.

Das Geld wird natürlich immer gebraucht.

Wer sich jetzt überlegt, dass er doch bloß hätte Spenden sollen, dem kann ich nur nahelegen, dies noch immer zu tun.

Am einfachsten ist dies über PayPal.

Der Nachteil ist jedoch, dass der Wildlife Shelter Spendenquittungen nur in Kanada ausstellen kann.

Aber Spendenquittungen sind ja auch nicht alles...

G24: feed2