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Über die Weichsel

Eine Winterreise durch Mitteleuropa

Karl Brodowsky, gefahren 2003-11-14 bis 2003-11-23, geschrieben 2004

Einleitung

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Aus Gründen, die nicht Thema dieser WWW-Seite sind, hat es sich in diesem Jahr ergeben, dass ich im November eine Woche Ferien hatte. Das liegt natürlich etwas außerhalb der warmen Jahreszeiten und auch außerhalb der Zeiten, zu denen unsere Kinder Schulferien haben. Weiterhin ist es in diesem Fall notwendig gewesen, wirklich "weg" zu sein, um diese Ferien auch tatsächlich zu haben. So bot es sich an, eine kleine Fahrradtour zu machen. In neun Tagen einschließlich An- und Abreise lässt sich schon einiges anfangen. Relativ schnell habe ich mich entschlossen, diesmal nicht nach Skandinavien zu fahren und so bot es sich an, einmal die etwas östlicher gelegenen Teile Europas zu besuchen, also zum Beispiel Ungarn, die Tschechische Republik, Polen oder das Baltikum. Dabei interessierte ich mich natürlich insbesondere für Ostpreußen und dessen polnischen (südlichen) Teil, wo meine Vorfahren einmal gelebt haben. Dies ließ sich noch mit einem kleinen Besuch von Litauen kombinieren. Natürlich war Ostpreußen früher für seine extrem kalten Winter bekannt und Litauen ist etwas nördlicher und östlicher und damit sicher nicht viel wärmer. Und November ist in dieser Gegend schon ein Wintermonat. Andererseits habe ich schon früher in Deutschland schon einige Radtouren im Winter gemacht und die richtig kalten Wintermonate in Ostpreußen sind eher Dezember, Januar und Februar, während der November eher dem entspricht, was man auch in westlicheren und südlicheren Gegenden als Winter gewohnt ist. Es ist bei den Temperaturen eine gute Idee, eine Thermoskanne mitzunehmen und die jeweils mit Tee oder Kaffee zu füllen. Dafür nahm ich weder Zelt noch Schlafsack mit und reiste also nur mit leichtem Aufbaugepäck.

Man muss sich vorstellen, dass Ostpreußen mit einer Fläche von ca. 38000 km² ungefähr so groß wie die Schweiz und sogar etwas größer als Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen ist. Dabei ist diese Fläche gar nicht so leicht zu ermitteln, denn es gibt drei kleinere Gebiete, die man dazuzählen kann oder nicht: In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg wurde das Memelland mit ca. 3000 km² litauisch, ein kleines Gebiet im Südwesten wurde polnisch und dafür kam ein kleiner Rest des überwiegend polnisch gewordenen Westpreußens zur Provinz Ostpreußen dazu. So hat man acht Möglichkeiten zur Auswahl, wie man diese Fläche berechnen kann, aber darauf kommt es eigentlich nicht so genau an. Heute ist Ostpreußen auf drei Länder verteilt: 60 % im Süden sind polnisch, 30 % um Königsberg (Калининград) herum sind russisch und 10 % im Norden (Memelland) sind litauisch. So ist auch dieser südliche Teil so groß, dass man in einer Woche nur einen kleinen Teil davon sehen kann.

Litauen ist mit ca. 65000 km² sogar noch etwas größer, fast so groß wie Bayern und größer als jedes andere deutsche Bundesland. Dort konnte ich natürlich sowieso nur eine winzige Ecke besuchen, sonst hätte ich die Radtour ganz in diese Richtung legen müssen. Das wäre auch eine lohnende Möglichkeit, die ich sicher irgendwann noch einmal aufgreifen möchte. Entgegen landläufiger Vorstellungen liegt Litauen nicht im östlichen Teil Europas, sondern genau in der Mitte. Jedenfalls ist einmal der Mittelpunkt Europas berechnet worden und der liegt nicht in der Schweiz, Frankreich, Belgien, Deutschland oder den Niederlanden, sondern in Litauen oder nach einer anderen Berechnungsweise in der Ukraine.

Die Landschaft in dieser Gegend ist zu einem großen Teil ein Hügelland mit vielen Seen, das während der Eiszeit geformt wurde, allerdings sind die höchsten dieser Hügel schon über 300 Meter hoch.

Im Mittelalter wohnte im Gebiet des späteren Ostpreußens ein baltisches Volk, die Preußen (oder Pruzzen, Prussen, Prußen). Deren Sprache war Altpreußisch (oder Prußisch). Dieses war mit Lettisch und Litauisch (und nicht mit Estnisch) verwandt. Man sagt, dass diese Sprache schon vor über 300 Jahren verschwunden sei. Gegen Ende des Mittelalters gab es im Umfeld der "Kreuzzüge" auch Bestrebungen, nicht nur in Palästina, sondern auch in Europa Gebiete zu erobern, in denen die Kirche noch nicht Fuß gefasst hatte. So eroberte der deutsche Ritterorden ein Gebiet, das neben Ostpreußen auch große Teile von Estland und Lettland umfasste. Litauen war in dieser Zeit mit Polen verbunden und dieser gemeinsame Staat umfasste ein riesiges Gebiet, das zeitweise bis zum Schwarzen Meer reichte. Lettland und Estland kamen später unter schwedische und dann unter russische Herrschaft, aber dort blieb eine deutsche Minderheit erhalten. Deren Angehörige nahmen häufig einflussreiche Positionen in der Gesellschaft ein, während in Litauen später die polnische Minderheit so eine ähnliche Rolle spielte. Der ostpreußische Ordensstaat war in jener Zeit gegen Ende des Mittelalters offenbar attraktiv und er zog viele Menschen aus Deutschland, Polen und Litauen an, was man noch heute an den Namen vieler Deutscher, die aus Ostpreußen stammen, merkt.

Trotz der unterschiedlichen Herkunft seiner Bewohner, zu denen in späterer Zeit unter anderem wegen der größeren Religionsfreiheit noch unter anderem Menschen aus Frankreich und Österreich kamen, haben sich in späteren Jahren die meisten Ostpreußen als Deutsche gefühlt. Nach dem ersten Weltkrieg gab es im Süden Ostpreußens eine Volksabstimmung, bei der sich die Bewohner zwischen einer Zugehörigkeit dieses Landstriches zu Deutschland oder zu Polen entscheiden durften. Offenbar entschieden sich bei diesen Abstimmungen weit über 90 % für einen Verbleib bei Deutschland. In der Stadt Treuburg gab es sogar ein einstimmiges Ergebnis. So blieb Ostpreußen noch für ein paar Jahre deutsch, allerdings wurde der südliche Teil Ostpreußens nach dem zweiten Weltkrieg doch unter polnische Verwaltung gestellt und ist heute anerkanntermaßen ein Bestandteil des polnischen Staatsgebietes. Ein sehr trauriges Kapitel ist hierbei die Vertreibung der Bewohner Ostpreußens, Westpreußens, Ostpommerns, Schlesiens und anderer Gebiete, die auf so brutale Weise erfolgte, dass dabei über zwei Millionen Menschen umgebracht wurden.

Ein kleiner Teil der ursprünglichen Bewohner, insbesondere auch Angehörige jener kleinen polnischen Minderheit, die schon in den 20er Jahren für Polen gestimmt hat, blieb im südlichen Ostpreußen, während das nördliche Ostpreußen, das unter sowjetische Verwaltung gestellt wurde, praktisch völlig entvölkert wurde. Es kamen viele neue Einwohner aus Polen und Russland, teilweise auch aus Gebieten, die Polen nach dem zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion verloren hat. Die verbliebenen Angehörigen der deutschen Minderheit verließen zu einem großen Teil etwa in den 70er Jahren ihre alte Heimat in Richtung Westen, aber einige leben noch heute dort. Es gibt sogar vereinzelt Leute, die aus Deutschland in das heutige polnische Ostpreußen umziehen. Die heutige Bevölkerungszahl entspricht in etwa derjenigen vor dem zweiten Weltkrieg, aber die Einwohner sind stärker in den großen Städten Königsberg (Калининград), Allenstein (Olsztyn) und Lyck (Ełk) konzentriert, während einige kleinere Orte, insbesondere in der Nähe der Grenze zwischen dem russischen Nordteil und dem polnischen Südteil nur noch wenige Einwohner haben oder ganz unbewohnt sind.

Da ich diesen Text auf Deutsch schreibe, verwende ich für Orte deutsche Namen, soweit es solche deutschen Namen gibt und auch schon vor 1933 gab. Um die Orientierung auf polnischsprachigen Landkarten und auch bei den Wegweisern zu erleichtern, füge ich für jeden Ortsnamen zumindest beim ersten Mal in Klammern den derzeitigen polnischen, litauischen oder russischen Ortsnamen hinzu. Bei Orten, wo der deutsche Name kaum bekannt und sehr selten gebraucht wird, auch umgekehrt.

Anreise

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Die Anreise ist im Vergleich zu meiner ersten Reise in diese Gegend im Jahr 1988 einfacher und machbarer geworden. Es gibt heute etwa alle zwei Stunden eine grenzüberschreitende Umsteigeverbindung von Berlin nach Stettin (Szczecin). In diesen Zügen kann man auch Fahrräder mitnehmen. Von Stettin nach Bialystok (Białystok) gibt es einen Nachtzug, der auch Fahrräder mitnehmen soll. Dieser hält in Danzig (Gdansk), Marienburg (Malbork), Elbing (Elbląg), Allenstein (Olsztyn), Rastenburg (Kętrzyn), Lötzen (Giżycko) und Lyck (Ełk). Weil der Zug relativ langsam fährt, kann man die ganze Nacht im Zug verbringen und ich plane deshalb, in erst Lyck auszusteigen, obwohl meine Runde viel weiter westlich gelegene Orte umfassen sollte. So muss ich nicht mitten in der Nacht aussteigen. Dummerweise nehmen die ICEs in Deutschland noch keine Fahrräder mit. Deshalb ist eine Zugverbindung in ca. 24 Stunden nur ohne Fahrrad möglich. So muss ich von Zürich nach Berlin einen Nachtzug nehmen, habe dafür aber auch fast einen Tag Zeit, um mir Berlin anzusehen, das ja nach Ansicht von Kennern schon alleine die Reise wert sein könnte. Erstaunlicherweise bekomme ich eine einzige Fahrkarte für die Strecke von Basel nach Lyck und zurück. Die Fahrt im CityNightLine bis Berlin geht gut und in Berlin fahre ich ein paar Stunden durch die Stadt. Am späten Nachmittag fährt mein Zug nach Stettin (mit Umsteigen in Angermünde). In Stettin steht schon der Zug. Er ist recht lang und natürlich ist der erste Wagen der Fahrradwagen und der letzte derjenige, wo ich liegen soll. Eine kleine Besonderheit ist noch, dass man durch den Zug nicht durchgehen kann, da die Wagenübergänge abgeschlossen sind. Als ich das Fahrrad verladen habe, meint die Schaffnerin, ich sollte das Fahrrad in den Liegewagen mitnehmen, aber der Schaffner des Fahrradwagens will es dort behalten. Also ist das auch gut. Morgens früh um 7:00 sind wir doch noch nicht in Lyck, weil der Zug eine gute Stunde Verspätung hat. Aber es ist schön, wir fahren durch eine Märchenlandschaft, weil alles vom Rauhreif weiß ist.

Zwei Nachtzüge, Aufenthalt in Berlin:

Tag 1: 2003-11-16 (7)

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Lyck (Ełk) soll normalerweise furchtbar viel Verkehr haben, aber am Sonntag um 8:00 schliefen die meisten Autofahrer wohl noch und ich hatte die Straße N 16 nach Augustow (Augustów) fast für mich alleine. Die Straße war trocken und in gutem Zustand, aber rechts und links war alles weiß von Rauhreif. So kann einem der Winter schon gefallen. Gelegentlich kamen ein paar kleine Orte und ich musste irgendwann einmal nach links abbiegen, um nach Suwalken (Suwałki) und weiter nach Litauen zu kommen. Aber vorläufig überholten mich noch gelegentlich litauische und lettische Lastwagen, so dass ich wohl auf dem richtigen Weg war. In Dreimühlen (Kalinowo) fuhren die Litauer weiter auf der N 16, aber ich bog dann doch auf die N 661 nach Norden ab. Dies war eine ganz kleine Allee mit ganz wenig Verkehr, auf der ich bis nach Reuß (Cimochy) fahren konnte, von wo dann die N 655 nach Suwalken (Suwałki) führte.

Suwalken (Suwałki) ist eine recht große Stadt, die sich auch über eine beachtliche Distanz ausdehnte und im Kernbereich etliche vierspurige Straßen aufwies. Von dort fuhr ich auf der N 8 weiter, die breite Randstreifen hatte, aber andererseits ansonsten doch recht kurvig und hügelig verlief. Die Gegend sah hier ganz anders aus als am Morgen und es war auch etwas wärmer geworden. So kam ich durch ein Stück Wald, aber doch hauptsächlich über Felder nach Szypliszki. Ab dort standen auf den letzten 7 Kilometern vor der Grenze auf dem Randstreifen die Lastwagen. Wahrscheinlich brauchten die etwa 24 Stunden für die Wartezeit und Abfertigung an der Grenze. Interessant war, dass das überwiegend litauische und lettische Lastwagen waren, ein paar aus Estland und Polen, wenige aus Ungarn, der Tschechischen Republik und Finnland, aber alles modernste Scania, Volvo und MAN-Fahrzeuge. Witzigerweise wurden recht viele stark beschädigte Autos nach Litauen transportiert. Vielleicht bekommt man die Schrottautos als Totalschaden in Deutschland praktisch umsonst und in Litauen werden die dann wieder repariert oder für Ersatzteile zerlegt... Zu der Zeit war die Schienenverbindung von Polen ins Baltikum entweder eine Strecke, die ein Stück durch Weißrussland verläuft oder eine sehr kurvige Schlangenlinie, die Weißrussland notdürftig umfuhr, aber immer noch einen Spurweitenwechsel aufwies. Die Verkehrspolitik ging in der Zeit auf beiden Seiten der Grenze und vor allem für den grenzüberschreitenden Verkehr eindeutig in Richtung Straßenverkehr. Inzwischen (Update Stand 2020) gibt es mit Rail Baltica ein Projekt, eine normalspurige, für 240 km/h ausgebaute Bahnstrecke von Polen in die baltischen Länder und biss nach Tallinn (Reval) zu bauen.

Ich konnte jedenfalls gemütlich alle Lastwagen überholen. Der Grenzübergang war gewaltig. Die Straße bekam viele Spuren. Im Gegensatz zur deutsch-schweizerischen Grenze wurde man nicht durchgewunken, sondern es wurde jeder Pass kontrolliert. Und ein Stück weiter kam schon die nächste Kontrolle, insgesamt vier oder fünf hintereinander. Der erste Grenzer fragte mich, was ich denn in Litauen wolle... Aber davon ließ ich mich nicht abschrecken.

In Litauen wurde die Straße zur A 5 und blieb die E 67. Sie war offenbar mit EU-Zuschüssen nagelneu gebaut worden und sehr großzügig und überwiegend kreuzungsfrei trassiert. Zum Glück darf man in Litauen alle Straßen mit dem Fahrrad befahren. Orte die auf meiner Litauenkarte aus dem Jahr 2003 kommen sollten, vor allem Kalvarien (Kalvarija), gab es nicht, denn sie wurden in großem Abstand umfahren und waren kaum am Horizont zu erkennen. Überhaupt war Litauen eher flach und hatte große freie Felder. In der Ferne sah man immer wieder Häuser und kleine Wälder. Es ging sehr flott voran und bald kam eine Abzweigung zur N 200 nach Westen, wobei ich einen guten halben Kilometer im Kreis fahren musste, weil die Abfahrt so großzügig dimensioniert war. Die N 200 war eine kleinere Asphaltstraße, die durch Wälder und Feuchtgebiete und sogar gelegentlich durch kleine Orte führte. Einmal kam mir sogar ein Pferdewagen entgegen. Allerdings wurde es jetzt auch schon langsam dunkel und außerdem noch neblig, so dass ich nicht mehr so viel sehen konnte. Irgendwann kam eine erste Abzweigung nach Wilkowischken (Vilkaviškis), aber die war ein Sandweg, den ich mir nicht für 25 Kilometer antun wollte. Etwas später sollte ja die N 185 kommen, die vielleicht eher asphaltiert sein sollte. So war es auch. In Gražiškiai (deutsch: Crasima), wo diese Abzweigung war, machte ich noch einmal eine kleine Pause. Irgendwie war es in diesem Ort stockdunkel.

Kurz vor Wilkowischken (Vilkaviškis) kreuzte ich die A 7 von Königsberg (Калининград) nach Wilna (Vilnius) und Moskau (Москва). In Wilkowischken (Vilkaviškis) sollte es laut Internet ein Hotel geben und das musste ich nun finden. Selbstverständlich waren die Leute, die ich noch auf der Straße traf, sehr hilfsbereit und sie konnten auch gut Litauisch, jedenfalls besser als ich, um es vorsichtig zu formulieren. So klar wie es ist, dass man auf keinen Fall ein Gespräch auf Russisch beginnen darf, so klar ist es auch, dass man irgendwann diese Sprache doch gebrauchen sollte, weil das doch fast alle Litauer noch aus den sowjetischen Zeiten können. Nun, mit meinen Russischkenntnissen ist es damals noch nicht so gut bestellt, jedenfalls bei weitem nicht gut genug, um das Hotel mit der Beschreibung zu finden. So kam ich schon bald wieder am anderen Ende aus dem Ort heraus, ohne es gefunden zu haben. Stattdessen kam aber eine Polizeidienststelle in Sicht. Die Polizisten waren sehr nett und konnten auch sehr gut Litauisch und notfalls halt auch ein bisschen Russisch. Einer von ihnen fuhr mit einem Polizeifahrzeug vor mir her und so fand ich das Hotel dann doch noch. Ja, die Frau an der Rezeption konnte auch Litauisch. Aber irgendwie sind wir miteinander klargekommen. Sie hat mir sogar gezeigt, wo ich mein Fahrrad über Nacht hinstellen konnte. Ich weiß nicht, warum es Verzeichnisse "fahrradfreundlicher Hotels" gibt, denn ich hatte nun wirklich fast nie in einem Hotel ein Problem, mein Fahrrad sicher und ordentlich unterzustellen. Einzige Ausnahme war 2013 das "Best Western Hotel" in Bern.

Das Zimmer war recht klein und man braucht wohl etwas Sinn für "Ostalgie", aber immerhin hatte es ein eigenes Bad. Die Heizung ließ sich nicht verstellen und es war eher etwas kalt und auch das Deckbett war ein bisschen zu kurz. Aber mit warmen Socken und einem warmen Pullover habe ich nachher doch ganz gut geschlafen. Morgens gab es auch noch Frühstück, witzigerweise kein Brot, sondern Salat. Ich glaube, wenn ich nächstes Mal dorthin reise, lerne ich vorher vielleicht doch noch einmal ein bisschen Russisch. ;-)

Tag 2: 2003-11-17 (1)

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Wegen des Grenzübergangs musste ich zurück nach Polen teilweise denselben Weg nehmen wie auf dem Hinweg. Kürzer wäre es natürlich, über Wirballen (Virbalis, LT) / Kybartai (dt.: Kiebarten, LT), Eydtkuhnen (Чернышевское, RU), Stallupönen (Нестеров, RU) und Goldap (Gołdap, PL) ein Stück durch das russische Nordostpreußen zu fahren, aber der Aufwand für ein russisches Visum und den Grenzübertritt gilt allgemein doch noch als sehr hoch, so dass es einfacher war, Russland zu umfahren. Für mich mit nur einer Woche Zeit hätte sich das russische Visum sowieso nur gelohnt, um es die ganze Zeit zu nutzen. Aber diesmal bot sich zunächst als Variante an, die A 7 nach Mariampol (Marijampolė) zu nehmen und schon ab dort auf der A 5 zu fahren. Rechts waren es 153 Kilometer nach Königsberg, links waren es 178 Kilometer nach Wilna (Vilnius). Natürlich stimmte die Karte wieder nicht und schon lange vor Mariampol (Marijampole) kam das Kleeblatt mit der A 5. Diesmal zog sich die Strecke bis zur Grenze recht lange hin. Es regnete ein bisschen und der Wind kam heute auch eher von vorne, übrigens so schräg, dass ich sowohl auf der A 7 als auch auf der A 5 Gegenwind hatte. Irgendwann um die Mittagszeit hatte ich die vier Passkontrollen wieder problemlos durchlaufen. Und so bot es sich an, in Szypliszki in einem Restaurant ein gutes Mittag für umgerechnet 6 CHF (4 EUR) zu essen.

Während ich aß, fing es an zu schneien. Der Schnee auf dem Randstreifen war jetzt eigentlich noch recht gut zu befahren, im Gegensatz zum Rest der Fahrbahn, wo sich trotz Schneeräumung immer wieder Spurrillen aus Eis bildeten, auf denen man auch mit Spikereifen nicht so gut fahren konnte. Aber ich war jetzt sehr froh, diese Reifen zu haben. In Suwalken (Suwałki) wurde es schon dunkel. Hier gab es drei Straßen in Richtung Treuburg (Olecko). Die südliche hatte ich auf dem Hinweg schon teilweise genutzt und die nördliche war ein Stück länger und so wollte ich die mittlere nehmen. Indem ich den Wegweisern nach Allenstein (Olsztyn) folgte, kam ich auf die richtige Straße und irgendwann auch aus Suwalken (Suwałki) heraus. Die Gegend war jetzt ziemlich hügelig und es ging zuletzt durch immer mehr Wälder.

Plötzlich tauchte links ein kleiner See auf und die Straße mündete auf eine Querstraße und ich war in Treuburg. Das ist die Stadt, aus deren Umgebung so ungefähr die Hälfte meiner Vorfahren stammt. Ich hatte natürlich viel davon gehört und nun war ich plötzlich dort... Ich hatte die Übernachtung in Dullen (Duły), einem kleinen Nachbarort von Treuburg, schon organisiert. So fuhr ich noch kurz in die Stadtmitte von Treuburg, rief in Dullen an, um zu sagen, dass ich bald kommen würde und um nach dem Weg für die letzten Meter zu fragen. Etwa fünf Kilometer westlich von Treuburg war ich dann angekommen.

Tag 3: 2003-11-18 (2)

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Um den kurzen Tag möglichst gut auszunutzen, fuhr ich in Dullen schon etwa um 7:30 los. Die Gegend war recht schön. Die Straßen waren fast ausnahmslos Alleen, häufig mit Birken. In dieser Gegend gab es einige Seen und eher wenig Wald und viele Felder und gelegentlich auch Dörfer. Ein Bauer arbeitete noch mit einem Pferd. Das Wetter war an diesem Tag wärmer und der Schnee war schon wieder komplett verschwunden. Gelegentliche Regenschauer gab es, aber ansonsten war es eher trocken und teils sonnig, teils wolkig.

Meine erste größere Pause machte ich in Lötzen (Giżycko). Ich wollte mir etwas zum Essen kaufen, was gar nicht so einfach war. Es gab sehr viele Läden mit bunter Reklame und Staubsauger, Stereoanlagen, Computer und einige andere Dinge habe ich gesehen. Aber der Lebensmittelladen hatte kein leicht erkennbares Merkmal und so war es gar nicht so einfach, den zu finden. Aber auch nicht so schwierig, dass ich deshalb verhungert bin. Ich setzte mich zum Essen an einen Kanal, der hier zwei Seen miteinander verband. Danach warf ich noch einen Blick in die Burg und machte mich dann auf den Weg in Richtung Rastenburg (Kętrzyn). Diesmal ging die Straße öfter durch Wälder und es war auch ein recht schöner Weg. Rastenburg hatte ein sehr schönes Stadtbild, das mir sogar noch etwas besser als Lötzen gefiel. Hier machte ich noch eine Pause und es wurde schon langsam dunkel.

Als ich aus Rastenburg herausfuhr war es schon ziemlich dunkel. Nach Bartenstein (Bartoszyce) sollten es nach dem Verlassen von Rastenburg noch 44 Kilometer sein. Zum Glück hat mich mein Licht nicht im Stich gelassen. Ich hatte zwei Beleuchtungssyteme dabei. Einerseits eine eingebaute Lichtanlage mit Nabendynamo, andererseits eine zusätzliche Beleuchtung mit Leuchtdioden und Batterien, auf die ich allerdings nicht angewiesen war, weil meine normale Lichtanlage gut genug funktioniert hat. Bartenstein war eine recht große Stadt mit großzügigen Straßen, insbesondere einer großen Nationalstraße von Warschau (Warszawa) nach Königsberg. Ich rief kurz bei den Leuten an, in deren Quartier ich übernachten sollte und meinte, dass ich in etwa zwei Stunden dort sein würde, also so um 21:00 herum. Ich fragte noch kurz nach dem Weg, aber den sollte ich ja mit meiner Karte leicht finden. Petershagen (Pieszkowo) lag zwischen Landsberg (Górowo Iławeckie) und Heilsberg (Lidzbark Warmiński) und es schien eine offensichtliche direkte asphaltierte Straße zu geben. Also fuhr ich auf der 512 in Richtung Landsberg weiter und wollte kurz hinter Spittehnen (Spitajny) nach links abbiegen. Dummerweise kam die Abzweigung nicht und es wunderte mich trotz der Dunkelheit, wieso ich die übersehen haben sollte. Bald kam schon Tolks (Tolko), der nächste Ort. Von dort sollte es eine Korrekturmöglichkeit geben, eine Straße, die nach Süden führte und die richtige Straße irgendwann kreuzen sollte, bevor sie dann durch ein paar kleine Dörfchen führte. Die Dörfchen kamen auch, aber die Querstraße kam vorher nicht und hinterher auch nicht. Durch ein verzweigtes Wegenetz suchte ich mir meinen Weg durch die Dunkelheit und kam schließlich auf eine etwas größere Straße. Da raschelte es neben mir und es stellte sich heraus, dass das ein Radfahrer ohne Licht war. Trotz der etwas schwierigen Kommunikation, die in der Dunkelheit nicht mit Zeichensprache und sowieso nicht mit einer gemeinsamen gesprochen Sprache funktionierte, bekam ich heraus, dass es nach links richtig wäre. So als hätte ich diese magische Straße zwischen Tolk und diesem Punkt doch unsichtbar gekreuzt. Jedenfalls hechelte der polnische Radfahrer mit seinem einfachen unbeleuchteten Fahrrad ohne Gepäck neben mir her bis zum nächsten Ort, wo er anscheinend sein Ziel hatte. Ich fuhr weiter, machte noch eine kleine Pause und als ich dann wieder weiterfuhr, hörte ich den raschelnden Radfahrer wieder eine Zeit lang neben mir. Die Straße war hier eine ganz kleine asphaltierte Allee. Dummerweise war der Asphalt ein Flickenteppich, auf dem das Fahren, gerade bei Dunkelheit, recht stressig war. Immer wieder gab es beleuchtete Orte etwas rechts und links der Straße und schließlich kam ich so ungefähr zur geplanten Zeit in Petershagen an. Es stellte sich heraus, dass meine zweisprachige Karte einen Fehler hatte und die Straße in Tolk kurz nach der von mir gewählten Abzweigung begonnen hätte. Auf der nachgedruckten Karte von 1937 war der tatsächliche Straßenverlauf noch ganz genau zu erkennen.

Tag 4: 2003-11-19 (3)

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An diesem Tag fuhr ich wieder einigermaßen früh los, noch kurz vor 8:00 oder so, um die Tageshelligkeit etwas zu nutzen. Landsberg war bald erreicht und von dort wollte ich auf einer Hauptstraße immer näher an der russischen Grenze über Kanditten (Kandyty) und Lichtenfeld (Lelkowo) nach Eisenberg (Żelazna Góra) fahren. In dieser Gegend war nichts los. Die Felder lagen häufig brach und in den Orten schienen die Leute auch alle Zeit der Welt zu haben. An diesem Tag regnete es sehr viel und einige Teile der Felder standen unter Wasser. In Eisenberg endete die Straße und es ging hauptsächlich nach links weiter. Ein ganz kleines Sträßchen führte nach rechts und bald ging es durch ein Tal und unter einer nagelneuen Brücke hindurch. Dann ging es geradeaus als Sackgasse weiter, aber rechts mit abknickender Vorfahrt zu der Brücke, unter der ich gerade durchgefahren war. Da war dann eine breite Betonstraße und wieder abknickende Vorfahrt nach rechts auf die Betonstraße über die Brücke. Nach links war die Betonstraße eine Sackgasse. Offensichtlich war das einmal die sogenannte "Reichsautobahn" von Königsberg nach Elbing, von der aber vor dem Krieg erst eine Fahrbahn und damit die halbe Breite gebaut worden war. In Richtung Königsberg ist das heute eine Sackgasse. Bald kam eine Sperrung für Fahrzeuge aller Art, über die ich mich hinwegsetzte. Hier war auch schon mehr Gras auf der Fahrbahn gewachsen. Nach einem oder zwei Kilometern war die Straße komplett gesperrt mit einem Schlagbaum und sogar auf ein paar Metern ganz zugewachsen. Das war die russische Grenze, die man heute zwischen Braunsberg (Bŕaniewo, PL) und Heiligenbeil (Мамоново, RU) überqueren kann. Die neue Brücke deutet aber an, dass diese Betonstraße wieder repariert werden sollte und vermutlich ein weiterer Grenzübergang entstehen sollte. Das ist inzwischen (Stand 2020) passiert. Jedenfalls war diese ehemalige Reichsautobahn keine Autobahn, Interstatestraße oder Kraftfahrstraße mehr, sondern eine normale Nationalstraße (N 22), die noch den Vorteil hatte, praktisch autofrei zu sein, denn sie führte ja nur zu ein paar Bauernhöfen in der Nähe der Grenze.

Ich fuhr von der Grenze wieder zurück und dann weiter über die neue Brücke in Richtung Elbing. Irgendwann kam eine Baustelle, wo die N 22 komplett gesperrt war. Über ein Stück Pflastersteinstraße kam ich irgendwie in Richtung Braunsberg. Das war übrigens die erste von diesen berüchtigten Pflastersteinstrecken und sie sollten auch viel seltener als in Deutschland bleiben. In Braunsberg wollte ich übernachten und es wurde auch langsam dunkel. Aber es war ja noch früh und ich wollte mir noch die Fahrt zum Frischen Haff gönnen. So fuhr ich kurz nach Frauenburg (Frombork) und fand dort auch den Weg zum Hafen. In Braunsberg musste ich wegen des Regens durch eine fast knietiefe Pfütze fahren. Der Weg nach Frauenburg war sehr schön. Soweit es im Dunkeln zu erkennen war, führte er durch Auenwälder und Feuchtgebiete.

Wegen des Regens war es nach meiner Rückkehr nach Braunsberg gar nicht so leicht, eine geeignete Stelle zum Telefonieren zu finden. Jedenfalls stellte sich heraus, dass ich gerade wieder in Richtung Frauenburg zurückfahren müsste, um in der Nähe des Stadtrands zu übernachten. Ja, diese Übernachtung hatte ich auch vorgängig organisiert. Diese Strecke an diesem Tag war recht kurz, das war sozusagen mein Ruhetag.

Tag 5: 2003-11-20 (4)

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Im Laufe dieses Tages musste ich so langsam wieder die Kurve in Richtung Osten kratzen, weil ich am Samstag Abend in Lyck den Nachtzug nehmen wollte. So entschied ich mich, bald nach Süden zu fahren und eher die interessanten Ziele in Westpreußen, z.B. die Marienburg oder die Frische Nehrung, die das Haff von der Ostsee trennt, diesmal nicht anzusteuern. Auf der N 54, die ein Teil der ehemaligen N 1 ist, fuhr ich durch den Wald, bis ich wieder auf die ehemalige "Reichsautobahn" N 22 traf, die hier etwas mehr Verkehr als ganz im Norden hatte, aber immer noch fast leer war. Ja, es gab da natürlich Bushaltestellen, abzweigende Waldwege, andere Radfahrer und auch sogar ganz schön viele Fußgänger. Überhaupt habe ich unterwegs doch recht oft andere Radfahrer auf den Straßen angetroffen. Die Abfahrt nach Preußisch Holland (Pasłęk) war zwar einmal kreuzungsfrei angelegt worden, aber darum kümmerte sich heute keiner mehr, man konnte hier einfach links abbiegen, um die paar Meter Umweg zu sparen.

Auf kleinen Sträßchen und durch viele kleine Dörfer ging es in Schlangenlinien durch das Land, das hier ziemlich flach war. Irgendwann tauchte Preußisch Holland (Pasłęk) auf, schon von weitem zu erkennen, weil der Ort auf einem Hügel liegt und noch eine schöne Stadtmauer hat. Überhaupt ist es in in dieser Gegend witzig. Normalerweise sind die Kirchtürme möglichst hoch, hier hatte man aber oft das Gefühl, dass sie vor allem möglichst dick waren.

In Preußisch Holland hatte ich natürlich wieder die übliche Schwierigkeit, die richtigen Läden zu finden, aber das gelang mir überraschenderweise doch noch. Nach einem kleinen Rundgang durch die Stadt und einer kleinen Pause machte ich mich wieder auf den Weg. Diesmal ging es zur Abwechslung über eine sehr große und gut ausgebaute Straße. Die N 7 von Danzig (Gdansk) nach Warschau (Warszawa) war in dieser Gegend durchgängig mit breiten Randstreifen ausgestattet, ähnlich wie die N 8. Man konnte trotz des etwas höheren Verkehrsaufkommens doch recht gut fahren. Diese neue Nationalstraße ist größtenteils auf den Trassen alter Alleen entstanden und nur gelegentliche Umgehungsstraßen und kleinere Begradigungen weichen davon ab.

Nach einigen Kilometern bog ich wieder auf ruhigere Alleen ab und fuhr nach Saalfeld (Zalewo). Witzigerweise hat dieses Saalfeld (unter dem Namen "Zalewo") das thüringische Saalfeld als Partnerstadt. In Saalfeld bog ich wieder nach Süden ab und fuhr durch Wälder in der Nähe des Ostufers des Geserichsees (Jeziorak) entlang. Der See war doch meist ein paar Kilometer entfernt, aber da ich ihn 1988 einmal umrundet hattet, war es lustig, jetzt für ein Teilstück dieselbe Straße noch einmal zu befahren.

Bald kam der Abzweig nach Weepers (Wieprz), wo ich 1988 übernachtet hatte und dann in Schnellwalde (Boreczno) die Abzweigung, wo es rechts nach Deutsch Eylau (Iława) und links nach Liebemühl (Miłomłyn) weiterging. Diesmal bog ich nach links ab. Irgendwo sollte der Oberländische Kanal (Kanał Elbląski) auf einem Damm einen See überqueren. Zu dieser Stelle wollte ich noch hinfahren und ich kam auch in eine Seitenstraße und durch ein Dorf durch zu diesem See. Allerdings konnte man nicht so viel von dem Kanal erkennen. Das hätte genausogut das Ufer des Sees in dieser etwas hügeligen Gegend sein können.

Am Abend fuhr ich dann ein Stück neben diesem Oberländischen Kanal. Das ist vielleicht vergleichbar mit dem Götakanal in Schweden ein relativ kleiner Kanal, der zu einer Zeit gebaut wurde, als durch die Konkurrenz der Bahn der Schiffsverkehr mit so kleinen Einheiten schon auf dem Rückzug war. Aber das ändert nichts daran, dass dieser Kanal heute eine erstklassige Sehenswürdigkeit ist, die auch mit Touristenbooten erschlossen wird. Eine Besonderheit ist jedenfalls, dass man hier auf Schleusen verzichtet hat und stattdessen das Schiff in ein Gestell fährt, mit dem es auf Schienen über einen kleinen Hügel aus dem einen Gewässer in das andere Gewässer bewegt wird. Angetrieben wird dieser Mechanismus, wie übrigens auch die Schleusen bei anderen Kanälen, durch Wasserkraft.

In Liebemühl wurde es langsam dunkel und ich kam wieder auf die N 7. Bei einem Rastplatz machte ich eine kleine Pause und ich konnte kaum noch erkennen, wer sonst noch dort rastete, aber es war wohl noch eine Person anwesend, die bei einem rastenden Autofahrer anklopfte und mit diesem dann zu der dunkelsten Ecke des Rastplatzes fuhr.

Für die nun kommende Nacht hatte ich keine Vorbestellung gemacht. Osterode (Ostróda) war mir für den Tag noch ein bisschen zu früh zum Übernachten, denn am Tag danach wollte ich ein paar Kilometer nordöstlich von Sensburg (Mrągowo) übernachten, aber andererseits die Großstadt Allenstein (Olsztyn), vor allem den Allensteiner Verkehr, umfahren. Eine südliche Umfahrung erschien mir attraktiv und so kam es, dass ich an Osterode einfach auf der Umgehungsstraße vorbeifuhr.

Etwas südlich von Osterode ging es durch ein tiefes Tal. Die Straße wurde jeweils für die Steigung auf einem langen Abschnitt dreispurig. Irgendwann um die Zeit, wo ich mich nach einer Übernachtung umsehen wollte, kam ich nach Hohenstein (Olsztynek). Ich hatte angenommen, dass ich dort spontan etwas finden würde, aber es wäre auch noch möglich gewesen, in Richtung Allenstein oder Neidenburg (Nidzica) weiterzufahren, wenn das nichts geworden wäre. Aber kurz vor Hohenstein, etwa da, wo sich einmal das Tannenberg-Denkmal befand, war ein Hotel am Straßenrand. Es war ein bisschen eine Herausforderung, den Eingang zu finden. Ich konnte für 50 PLN (17 CHF bzw. 12 EUR) übernachten. Das Zimmer war klein und ein bisschen klapperig möbliert, aber ich habe gut geschlafen. Das Fahrrad konnte ich natürlich irgendwo in dem Gebäude unterbringen.

Es hätte sich sicher Elbing, eventuell Marienburg oder die frische Nehrung in diesen Tag einbauen lassen, wenn ich mir vorgenommen hätte, in Osterode zu übernachten und über Allenstein zu fahren. Aber man muss ja auch noch etwas für die nächste Reise aufheben, die mich vielleicht von der Gegend um Lyck, Treuburg oder Suwalken (Suwałki) durch Ost- und Westpreußen und das östliche Pommern nach Deutschland führen könnte. Das wären auch insgesamt etwa 900 Kilometer, so dass das entfernungsmäßig statt der hier beschriebenen Tour eine Alternative gewesen wäre.

Tag 6: 2003-11-21 (5)

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Durch den Ort Hohenstein (Olsztynek) fuhr ich nur hindurch und ich fand recht gut die Straße nach Ortelsburg (Szczytno). Jetzt kam ich durch eine sehr schöne Gegend mit vielen Wäldern und Seen. Hier waren auch viele Zeltplätze zu sehen und wahrscheinlich ist im Sommer einiges los. Landschaftlich war dies vielleicht die schönste Strecke auf der ganzen Radtour. Hier im Süden von Ostpreußen mit den vielen Seen kann man übrigens auch Kanutouren machen, wofür man im Sommer Boote mieten kann. Eigentlich waren diese Seen natürlich früher alle von Oktober bis April oder so zugefroren, aber diesmal war im November noch flüssiges Wasser zu sehen. Wahrscheinlich hätte ich da sogar baden können. Vielleicht sogar ohne dass sich dann in der Zeit mein Fahrrad und mein Gepäck vermehrt hätten. Aber da ich nur mit leichtem Aufbaugepäck unterwegs war, ließ ich das Schwimmen ausfallen.

In Ortelsburg machte ich wieder eine schöne Pause und sah mir die Stadt an. Es ist wirklich schön, wie viele hübsche Städtchen man auf so einer Radtour durchquert. Von Ortelsburg nahm ich eher die direktere Route nach Sensburg, die wieder teilweise zwischen Feldern hindurch führte und auch ein paar Hügel überquerte.

In Sensburg (Mrągowo) machte ich eine längere Pause, um zu essen. Außerdem wollte ich noch telefonieren, um zu sagen, dass und wann ich zu dem vorbestellten Übernachtungsort komme, wie ich das Haus finde u.s.w. So nebenbei sah ich noch ein Schild eines Fahrradladens und weil mein Hinterrad etwas eierte, suchte ich den Laden auf. Sofort versuchten sie das zu zentrieren. Das war noch spannend, weil der Fahrradhändler und seine Mitarbeiter nur Polnisch konnten, und irgendwie kamen wir doch klar. Aber die Felge war leider leicht defekt, was der Fahrradhändler mit einem deutschen Schimpfwort beschrieb, das er wohl irgendwo aufgeschnappt hatte. So verkauften sie mir ein neues Hinterrad mit einer stabileren Felge. Einschließlich Einbau kostete das umgerechnet 55 CHF (35 EUR), was ein fairer Preis war, wie er wohl auch von Einheimischen genommen wird. Vielleicht sollte ich meine nächsten Fahrradreparaturen in Sensburg machen, das kommt einschließlich Anreise billiger...

Das letzte Stück von Sensburg nach Zondern (Sądry) war es schon dunkel. Es kam ein Ort nach dem anderen und ich hatte schon fast das Gefühl, an Zondern vorbei zu sein. Die Leute, bei denen ich übernachtete, haben ein privates Freilichtmuseum, das auch auf Deutsch als Bauernhausmuseum oder so ähnlich ausgeschildert ist. Jedenfalls konnte ich den Weg nach Zondern und sogar innerhalb von Zondern finden. Immerhin ist das ein Dorf mit mehreren Einwohnern. Aber ich brauchte dort mein Fahrrad nicht abzuschließen, das wäre schon fast eine Beleidigung für die Nachbarn. Nur wegen des Wetters sollte ich es in die Garage stellen.

Tag 7: 2003-11-22 (6)

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Für das letzte Stück nach Lyck hätte es eine ziemlich direkte Route über Rastenburg oder über Arys (Orzysz) gegeben. Aber mir erschien es interessanter, wieder weiter im Süden über Johannisburg (Pisz) zu fahren. Anstatt zurück nach Sensburg zu fahren, fuhr ich weiter nach Rhein (Ryn), das zwar nicht am Rhein, aber doch an einem schönen See lag. Von dort aus fuhr ich nach Süden und nahm danach ich die N 16 in Richtung Allenstein, also von Lyck weg bis Nikolaiken (Mikołajki). Das war hier zwar die wichtigste Ost-West-Verbindung, vor deren hohem Verkehrsaufkommen man mich sogar gewarnt hatte, aber diese Nationalstraße war in Wirklichkeit doch eher ein kleines Sträßchen mit sehr wenig Verkehr. Und natürlich war es eine Allee, wie fast alle anderen Straßen auch.

In Nikolaiken machte ich eine kleinen Pause und fuhr dann westlich des Spirdingsee durch den Wald nach Süden, wobei ich so nach und nach ein bisschen nach Osten abbog, um dann südlich dieses Sees direkt auf Johannisburg (Pisz) zuzufahren. Johannisburg hat eine Kirche, die ein Fachwerkbau ist.

Bis Johannisburg ging es fast nur durch Wald, ab da hatte ich dann wieder Alleen. Bis Gehlenburg (Biała Piszka) und auch danach war es eigentlich noch hell. In Gehlenburg gönnte ich mir wieder eine Pause.

Kurz vor Lyck (Ełk) vereinigte sich die Straße mit der N 65 von Bialystok (deutsch auch Bjelostock). Deshalb gab es jetzt etwas mehr Verkehr. Am Straßenrand liefen offenbar vermehrt Betrunkene herum, die auch gelegentlich einmal stolperten und eine Weile liegenblieben, bevor sie weitergingen. Für die Polen war das offenbar nicht im Geringsten ungewöhnlich. In Lyck wurde die Straße vierspurig und weil ich noch so früh dran war, machte ich noch eine kleine Extrarunde auf der Umgehungsstraße in Richtung Suwalken (Suwałki) und Augustow (Augustów) und fuhr dann von derselben Seite nach Lyck herein, zu der ich eine Woche früher gestartet war.

Lyck wirkte heute wie eine viel größere Stadt mit mehr Verkehr, mehr Leuten und mehr Häusern. Zu Zeiten, wo schon alle wach sind, bekommt man doch einen anderen Eindruck als am frühen Morgen eines Sonntags. Ich besorgte mir erst einmal die Fahrradkarte für den Rückweg. Die konnte ich nicht vorher kaufen, sondern man muss sie im Reiseland besorgen. Natürlich waren Bahnhofsnamen wie "Zürich", "Schaffhausen", "Basel" dort kaum bekannt und sie konnten mir nur eine Fahrradkarte bis nach Stettin verkaufen, wo ich aber sicher die Fahrradkarte für den Rest meines Weges problemlos bekommen könnte.

Nun blieben mir noch ein paar Stunden, um Lyck anzusehen, etwas zu essen und dann wieder rechtzeitig zum Bahnhof zu kommen. Zu meiner Überraschung konnte ich zwei Kirchen von innen sehen, was auf der ganzen Reise vorher nie vorgekommen ist, weil alle Kirchen abgeschlossen oder bewacht waren.

Irgendwo am Stadtrand kaufte ich mir noch ein paar Dosen Bier, um in den Nachtzügen besser schlafen zu können. Und ich aß noch irgendwo ein warmes Abendbrot. Mit ein paar kleinen Umwegen fuhr ich dann zum Bahnhof und ging schon eine knappe halbe Stunde vor der geplanten Abfahrt auf den Bahnsteig.

Rückreise

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Der Zug sollte ja wegen des Lokwechsels etwa eine Viertelstunde halten. Natürlich war der Zug wieder recht lang und die Wagen waren ganz anders angeordnet, als ich es nach der Hinfahrt erwartet hätte. Mit etwas laufen konnte ich den Fahrradwagen finden und mein Fahrrad einladen. Die Schaffnerin meinte, ich sollte selber auch im Fahrradwagen in einem Abteil sitzen, aber nun hatte ich ja einen Liegeplatz reserviert. Als ich den richtigen Liegewagen gefunden hatte, kam auch schon so langsam die Zeit, als der Zug bald abfahren sollte. Der Liegewagenschaffner wollte meine Fahrkarten sehen und ich gab ihm die Liegewagenreservierung, die Fahrradkarte und die Fahrkarte. Da fing er an wie wild herumzubrüllen und wollte mich nicht in den Zug lassen, weil die Fahrradkarte fehlt. Als er die dann doch gesehen hatte, meinte er, dass die Fahrkarte für mich fehlt, wollte sie mir aber auch nicht wieder zurückgeben, damit ich ihm das zeige... Irgendwie gelang es mir doch noch, ihn bis zur Abfahrt des Zuges so weit zu beruhigen, dass ich mit dem Gepäck doch noch einsteigen durfte und dass das Fahrrad nicht ohne mich nach Stettin fuhr. Vielleicht hat er auch im Zug noch gemerkt, dass die Fahrkarte doch richtig war, jedenfalls wurde ich dann doch in Ruhe gelassen, nachdem er sich all meine Fahrkarten für den Hinweg und für die Weiterfahrt angesehen hatte.

Die Fahrt war eigentlich ganz schön, ich habe sogar etwas schlafen können und war am Vormittag irgendwann mit etwa einer Stunde Verspätung in Stettin. Es reichte noch, um die Fahrradkarte zu kaufen und den Anschlußzug nach Angermünde zu bekommen. Basel, Zürich und Schaffhausen waren auch hier nicht erreichbar, aber immerhin konnte ich eine Fahrradkarte nach Karlsruhe kaufen, was die Fahrkartenverkäuferin in einem Anflug von Kreativität als die bestmögliche Näherung erkannte.

Mit Umsteigen in Angermünde und Halle kam ich schon wieder in der Abenddämmerung in der schönen Stadt Leipzig an, wo ich noch einmal etliche Stunden Zeit hatte. Mit dem CityNightLine ?  konnte ich dann direkt bis nach Zürich durchfahren und dann waren die Ferien auch schon zuende.

Zwei Nachtzüge, Aufenthalt in Leipzig.

Fazit

Auch im November lohnt sich eine Radtour, man muss aber die Dunkelheit und das Wetter einplanen. Ich denke, dass ich noch mehr Radtouren in dieser Gegend machen möchte. Vielleicht einmal von Lyck oder einem anderen Bahnhof in der Nähe, der dann per Bahn gut erreichbar ist, nach Deutschland. Und auch noch weiter durch Litauen und die anderen baltischen Staaten. Für die erste Radtour in dieser Gegend war es sicher eine tolle Sache, dass ich sowohl in Litauen als auch im südlichen Ostpreußen war, aber beim nächsten Mal werde ich das wohl nicht mehr kombinieren, es sei denn, ich habe viel mehr Zeit.

Wegen des geringen Verkehrsaufkommens ist das südliche Ostpreußen gerade auch etwas für Fahrradtouren mit den Kindern.

Links

Hier habe ich ein paar Links von anderen Radtourenberichten gesammelt. Diese Fahrradtouren gingen ganz oder teilweise durch Ostpreußen einschließlich dem heute litauischen Memelland. Natürlich gibt es auch viele Radtouren durch andere Teile von Polen und Litauen.

  1. Liste deutscher Bezeichnungen polnischer Orte
  2. Liste deutscher Bezeichnungen litauischer Orte
  3. Liste deutscher Bezeichnungen russischer Orte
  4. Fahrradtour durch Litauen, Lettland und Estland (mirror) [Hans Jürgen Stang 2000]
  5. Nordkaptour durch Russland [Rudi Morche 2001]
  6. Berlin - Königsberg ?  (home, home2 ? ) [Peter Rottensteiner 1994]
  7. Unentdecktes Polen [Hans Jürgen Stang 2000]
  8. Ostsee, Masuren (Reisebericht, home) [Andreas Bank 1999]
  9. Stettin - Danzig - Königsberg - Memel - Liepaja - Riga - Tallinn (home) [Karsten Kürbis 2001]
  10. Ostseerunde (1-4, 5-8, 9-12, 13-16, 17-20, 21-24, 25-28, 29-32, Startseite) [Holger Trenz 2001]
  11. Litauen: Nida (Nidden) - Vilnius (Wilna) (alte URL, home) [Christoph Gocke 2002]
  12. Krakau - Lublin - Bialystok - Danzig [Martin Löwenstein 1999]
  13. Mit zwei Rädern um die Ostsee (mit Bildern, home) [Carsten Stolzenbach & Heiko Purnhagen 1995]
  14. Nördliches (russisches) Ostpreußen [Thomas Kohl 1999]
  15. Danzig - Königsberg - Baltikum (ohne Frames Navigation, home) [Michael Rothe 2003]
  16. Berlin - Ostsee - Königsberg ?  (home, home2 ? ) [Peter Rottensteiner 1994]
  17. Radtour durch Masuren und nach Warschau (home) [Martin Wittram 1992]
  18. Um die Ostsee herum (alles auf einer Seite) [Peter Alteheld 1994]
  19. Masuren (home) [Johannes Kubon 2003]
  20. Kurische Nehrung, Memel & Masuren (home) [Rolf Lüneberg 2001]
  21. Litauen und Lettland [Christian Lassek, Harald Stahl, Willi Dekarz, Rainer Luitjens & Rolf Kasper 2004]
  22. Die Ostsee: Von Pommern bis Kurland (home) [Rolf Lüneberg 2005]
  23. Masuren 2005 (ohne Frames home) [Michael Rothe 2005]
  24. Polen: Pommern & Masuren (alte URL, home) [José Rössner 2007]