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Fahrradtour durch Deutschland, Schweden, Norwegen und Finnland

Karl Brodowsky, gefahren 1987-07-21 - 1987-09-04, geschrieben 1994

Teil 1

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Von den über 140 Fahrradtouren die ich gemacht habe, davon einige kurze (2 Tage), einige lange (5 bis 8 Wochen), habe ich vor ein paar Jahren einfach einmal eine lange ausgesucht, die dann als erste in der Fahrradnewsgruppe und inzwischen auch im WWW erschien. Wenn man so etwa 5 oder 6 Wochen unterwegs sein will, schafft man dies im Inland bei uns nicht so leicht, weil man Deutschland in einer Woche in Nord-Südrichtung durchfahren kann. In der Schweiz dauert das auch nicht viel länger und in Österreich habe ich das in jungen Jahren sogar einmal an einem Tag geschafft. In Ost-West Richtung sah es damals noch trauriger aus, weil Honecker und Co. noch das Sagen hatten und die paar Straßenübergänge über die Zonengrenze alles für Radfahrer gesperrte Straßen waren, die leider auch noch kontrolliert wurden, so daß ich alle Reisen in die damalige DDR mit dem Zug unternahm.

So mußte ich mich entscheiden, ob ich nach Norden oder nach Süden fahren wollte und es wurde Norden, in der Hoffnung, daß dort der Verkehr durch weniger Autos gestört wird. Ich wohnte damals in Karlsruhe. Weil ich das Fahrrad noch für den Teil der Reise in Skandinavien brauchte, gab ich es nicht mit dem Zug auf, sondern fuhr das Stückchen bis Kiel lieber selber. Es gibt einen Weg, der zumindest die größten Städte (Hamburg, Frankfurt und Hannover) meidet und fast flach ist. Schöne Städtchen wie Heidelberg, Darmstadt, Göttingen, Salzgitter und Braunschweig zeigen sich dann eher von ihrer häßlichen Seite, wenn man da durch will oder muß, aber irgendwie habe ich das dann doch geschafft. Da kann man vielleicht geteilter Meinung sein, jedoch habe ich immer lieber die Städte mit dem Zug besucht und auf den Radtouren lieber die Gegend zwischen den Städten sehen wollen.

Es ging eben über Bruchsal, Heidelberg, Darmstadt, Babenhausen, Hanau zum Kinzigtal nach Gelnhausen, am nächsten Tag dann die alte IC-Strecke entlang am Kinzigsee vorbei auf der N 40 bis kurz vor Fulda und danach auf der N 27 an Fulda, Bebra und einigen kleineren Orten vorbei nach Göttingen. Der lange Tunnel der Bahnlinie Frankfurt - Fulda zwischen Schlüchtern und Flieden ist sozusagen die Unterfahrung des einzigen nennenswerten Berges zwischen Karlsruhe und Kiel, den ich dann allerdings im Gegensatz zu den Fahrten mit dem Zug zur Abwechslung überquerte. Der Preis für die Vermeidung von Hannover und Hildesheim ist dann das endlose Gummidorf Salzgitter und Braunschweig mit 20 Umgehungsautobahnen, 200 Ampeln für Radfahrer und ohne Wegweiser. Nördlich davon kommt dann bald die Lüneburger Heide. Die ist übrigens im Wesentlichen ein riesiger Wald, der kaum durch echte Heide und ein paar landwirtschaftliche Nutzflächen unterbrochen wird. Die Naturlandschaft war ja wohl auch Urwald, der nur durch Abholzung und Schafzucht zur Heide wurde, bevor das Land wieder aufgeforstet wurde. Das war dann eine gute Einstimmung für Lüneburg selbst.

Von dort ging es dann am vierten Tag auf der N 404 nach Kiel. Das war einmal eine Strecke die sich sehr gut legal befahren ließ und die alle Ortsdurchfahrten vermied. Natürlich wurde inzwischen der Radweg abgerissen und das Ding erst zur Kraftfahrtstraße und später zur Autobahn erklärt. Man muß entweder stundenlange Umwege (genaugenommen vielleicht nicht viel mehr als zwei Stunden, wenn man es tatsächlich finden sollte) fahren oder man läßt diesen Schwachsinn bleiben und folgt weiter den Wegweisern.

Das Benutzen von Fährschiffen war zu der Zeit gerade besonders sicher, weil kurz davor eine Fähre in Belgien gekentert war und deshalb die Seeleute zu dieser Zeit besonders aufmerksam waren, damit ihnen nicht auch so etwas passiert. So konnte ich in dem Schiff nach Göteborg ruhig schlafen, nachdem ich mich an das Motorengeräusch gewöhnt hatte.

In Göteborg hatte ich das Glück, daß man auf dem Weg, den ich einschlug, schnell aus der Stadt herauskam. Die Straße nach Trollhättan (N 45) kann man sogar nehmen, wenn man von dort in Richtung Oslo oder Stockholm will, aber ich wollte zwischen beiden irgendwo in der Mitte durchfahren und dafür war das dann sowieso der richtige Weg. In Trollhättan gibt es einen sehr schönen Wasserfall, der nur leider den Nachteil hat, normalerweise zugunsten eines Kraftwerks abgeschaltet zu sein. Als ich da war, war natürlich auch gerade "normalerweise", aber das ist ja auch einmal etwas besonderes, so einen abgeschalteten Wasserfall zu sehen, was andere nicht einmal in Niagara zu sehen bekommen. Außerdem durfte man das alte und das neue Kraftwerk besichtigen. An fünf oder sechs Stellen in der Nähe waren Informationsstände der Kraftwerksbetreiber für Touristen und selbstverständlich bekam man eine Einzelführung. Das neue Kraftwerk sah von innen ungefähr so interessant aus, wie mein Computer von außen, aber das alte war schon etwas anderes, das sah noch aus wie ein Wasserkraftwerk.

Am Abend übernachtete ich irgendwo in der Nähe der Nordwestecke des Vänersees. In Schweden ist es unter bestimmten Umständen gestattet, im Wald zu zelten, wenn man dabei nicht im Garten von Leuten, im Feld eines Bauern, auf Militärgelände oder im Naturschutzgebiet übernachtet und es vermeidet, den Wald anzuzünden oder Bäume zu fällen. Sagen wir einmal rücksichtsvolles wildes Zelten wird toleriert. Man muß ja einiges beachten, zum Beispiel sollten über dem Zeltplatz keine schweren toten Äste hängen, die in Kanada "widow maker", also Witwenmacher genannt werden, weil man in einer fremden Gegend schlecht die nächtliche Windstärke vorhersagen kann (kein Witz!!!). Ein Moorboden ist dagegen empfehlenswert, da man dann 1000 Jahre später mit etwas Glück als Moorleiche im Museum zu bewundern ist und auf diese Art zu großem Ruhm gelangen kann. Militärgelände, Straßenränder, Gärten mit bissigen Hunden und ähnliches erfordern immer so viel Schnaps, damit man trotz des Lärms gut schlafen kann und der ist dort so teuer. Also sucht man sich einen schönen Waldweg und geht zu einer Stelle, die von der Hauptstraße nicht mehr einsehbar ist. Beim dritten oder vierten Waldweg habe ich manchmal solch eine Stelle gefunden, es gibt nämlich dann oft Ausweichstellen oder Verbreiterungen, die einem Zelt Platz bieten und wo nicht mit zu vielen nächtlichen Besuchern zu rechnen ist. Notfalls muß man das Fahrrad noch ein Stückchen tragen, um zu einer geeigneten Stelle zu kommen. Wenn man für zwei Zelte oder ein Zelt und ein Auto Platz sucht, wird das schon schwieriger, der Aufwand steigt wahrscheinlich mit dem Quadrat der Anzahl der Plätze, die man braucht. Außerdem ist das Tragen von Autos auch nicht einfach, wenn der Lack nicht beschädigt werden darf.

Wie dem auch sei, Schweden hat den Vorteil, daß dort das Wildzelten erlaubt ist und daß man dafür passende Plätze finden kann. In Norwegen ist es auch erlaubt, aber man findet wegen der Berge nicht so leicht einen Platz und in Finnland findet man einen Platz, aber es ist nicht erlaubt.

Teil 2

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Die erste Nacht im Zelt verbrachte ich also etwa 200 km nördlich von Göteborg in der Nähe von Säffle (sucht es bitte nicht im Atlas, es ist zu klein!), in sicherer Entfernung von der Straße. Ich wußte damals noch, daß ich rechts von der Straße gezeltet hatte und konnte also in die richtige Richtung weiterfahren. Da tauchten dann Wegweiser nach Karlstad auf, denen ich wegen der Übereinstimmung mit meinem Vornamen folgte. Karlstad liegt irgendwo in der Mitte zwischen Oslo und Stockholm nördlich des Vänersees. Kurz vor Karlstad gab es dann einen Wegweiser nach Trysil (ca. 300 km). Der Ort ist so klein, daß ich ihn auf meiner Karte nicht fand, aber zum Glück gab es ja noch Nationalstraßennummern. Sobald man aus den dicht besiedelten Gebieten heraus ist, sind die Nationalstraßen übrigens so ziemlich die einzigen durchgehend asphaltierten Straßen. Aber wen stört es, wenn dann auch nur noch alle zehn Minuten ein Auto kommt?

Die Bilder habe ich hier nur als kleine Icons eingebaut. Wenn's Euch interessiert, könnt Ihr darauf klicken. Mit Netscape, Firefox oder einem anderen grafischen Browser kommt dann ein neues Fenster, in dem ab dann alle Bilder in etwas größerem Format angezeigt werden. Ich habe nicht regelmäßig Fotos gemacht, sondern je nach Laune, Wetter und Landschaft. Außerdem habe ich hinterher noch ein bißchen sortiert und nur vielleicht 10 % der Bilder gescannt. Deshalb gibt es gelegentlich starke Häufungen und dann wieder für viele Tage gar nichts.

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Nördlich von Karlstad ging es durch das schöne Klarälvtal. Auf dem Klarälven, wie der Fluß dort heißt, waren viele Boote und vor allem Flöße mit Zelten drauf unterwegs. Die fuhren fast alle stromab, was verständlich ist, weil es für diese Wasserfahrzeuge noch keine Gangschaltung gibt, mit der man auch nur Steigungen von einem Prozent über längere Strecken hochkommt. Weil ich vorhatte, am nächsten Morgen noch in der Nähe meines Fahrrades aufzuwachen, baute ich mein Zelt lieber auf einem Zeltplatz als auf einem solchen Floß auf und badete dann auch vor dem Schlafengehen im Fluß anstatt nachts beim Auseinanderfallen des Floßes.

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Die Berge wurden jetzt immer höher und die Strecken, die ich pro Tag fuhr wurden immer kürzer. Obwohl es jetzt durch das Flußtal ging, hatte man oft eine schöne Aussicht, wenn das Tal einmal zu eng für die Straße war und diese an dem einen oder anderen Rand etwas hochkletterte. Die Landschaft war herrlich. Eine kleine Insel im Fluß, immer noch die Flöße mit den Zelten drauf und ab und zu auch lose Baumstämme. Am Straßenrand gab es blühendes Heidekraut und dahinter dann Nadelwälder. Die Mücken freuten sich natürlich auch, aber davor kann man sich ja schützen. Ich hatte zwei Mückenmittel mit. Das eine war wohl mehr von psychologischem Nutzen, aber weil diese stechenden Mücken leider keine Krankheit sind, die sich psychologisch leicht beeinflussen läßt und weil es immer mindestens eine Mücke mehr gibt, als man mit den Händen flach machen kann, kam auch bei gutem Wetter nachts das Zelt und tagsüber das echte Mückenverjagungsmittel zum Einsatz.

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Am Nachmittag entfernte sich die Straße ein Stück vom Klarälven und traf dann ein paar Male auf Buchten eines großen Sees, zu dem dieser Fluß hier kurz südlich der Grenze aufgestaut worden ist. Bei schönem Sonnenschein auf der kleinen, fast autofreien Asphaltstraße war das ein angenehmes Fahren.

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Am Abend kam dann die norwegische Grenze und der Fluß hieß jetzt Trysilelva. Trotzdem ließ sich einmal wieder eine geeignete Stelle zum Zelten im Wald finden. Am nächsten Tag kam ich auch tatsächlich an einem kleinen Ort mit weniger als 5000 Einwohnern vorbei, der Trysil hieß. Die Berge wurden langsam so hoch, daß ihre Gipfel deutlich oberhalb der Baumgrenze lagen (hier vielleicht 1000m). Irgendwo zwischen den Bergen lag der Femundsee, den man erst aus geringer Höhe und später noch einmal von weit oben sehen konnte. Das war sehr hübsch, als sich die Abendsonne in dem See mit einigen langen Landzungen spiegelte.

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Die Abendsonne kam jetzt immer später, aber dennoch wollte ich vorher wieder eine Stelle finden, um zu zelten. Das war diesmal etwas schwieriger. Einmal gab es über eine lange Strecke Moore zu beiden Seiten der Straße, in denen trotz der schon genannten Vorteile das Fahrrad dreckig geworden wäre, dann eine kilometerweit ausgedehnte Ansammlung von kleinen Felsbrocken, deren Zwischenräume mit Wasser gefüllt waren, dann dasselbe mit Luft in den Zwischenräumen und ab und zu ein paar Bäumchen drauf und so ging es immer weiter auf der Suche nach einem Platz zum Zelten, der sich schließlich finden ließ, weil ein Bauer mir das Zelten auf seiner Wiese erlaubte, wo mir allerdings Erlebnisse als Stierkämpfer erspart blieben. Dafür konnte ich mir aber wenigstens morgens ungestört ein bißchen Kaffee kochen, ohne diesen mit zu vielen Tieren teilen zu müssen.

Am nächsten Tag kam ich in das Tal, in dem die Bahnlinie Oslo - Røros - Trondheim verläuft. Auf der Straße gab es offene Weidehaltung und ab und zu lagen dann in die Fahrbahn eingelassene Rohre quer zu dieser, damit auf den Weiden die die Straße durchquerte, nicht zu viele Tiere zulaufen. Nach einer kleinen Übernachtung auf einen schönen kleinen Zeltplatz nördlich von Røros fuhr ich dann durch das immer enger werdende Tal, in dem unten ein immer reißender werdender Fluß brodelte weiter nach Nordwesten. Leider durfte man dort nicht baden, vielleicht ist das nicht gut für die Turbinen in dem Kraftwerk, das es da irgendwo gab.

In Trondheim fragte ich Leute nach der Jugendherberge. Das Fragen ist ja leicht, weil man sich die Formulierung lange vorher überlegen kann. Aber wenn die dann mit ihrem normalen Sprechtempo antworten und auf die Bitte, langsam zu sprechen, alles noch einmal mit doppelter Geschwindigkeit wiederholen, ist es doch ganz nützlich, wenn man sich zusätzlich daran erinnert, daß diese Jugendherbergen immer auf einem Berg liegen, damit die ganz erschöpften potentiellen Gäste dort nicht zu viele Betten belegen können. Ich war leider nur mittelerschöpft, aber gönnte mir dann doch einen Ruhetag und zwei Übernachtungen, obwohl das dort ungefähr so viel kostete wie im Parkhotel in Lüneburg, wo die Jugendherberge und die Billighotels voll waren. Damals waren auch die Lebensmittelpreise noch so hoch, daß sich das Verhungern eigentlich rentiert hätte, aber das hat sich inzwischen etwas geändert, weil billige Ladenketten aufgetaucht sind.

Mein Hinterrad gefiel mir nicht mehr so ganz gut und ich ersetzte es durch eines mit einer ziemlich stabilen Felge, einem noch stabileren Preis, aber einem so stabilen Kugellager (DBS), daß dieses nicht mehr für Probleme in Frage kommt. Es hat bis zum heutigen Tag schon mindestens 1500 km gehalten, ist also sogar nach den strengen Maßstäben der Stiftung Warentest "sehr gut". Das sind so die Kleinigkeiten, auf die man achten muß, daß das Fahrrad immer einigermaßen in Ordnung ist, bevor man durch Gegenden fährt, die extrem dünn besiedelt sind. Bremskabel, Schaltzüge und so etwas hatte ich auch dabei, aber die Anzahl der Ersatzrahmen hatte ich doch ziemlich klein gehalten, weil das sonst beim Zoll immer so kompliziert ist.

Ansonsten hatte ich natürlich Gelegenheit, die Stadt mit ihren schönen Holzhäuschen und dem Dom anzusehen und andere Reisende zu treffen. Und das Frühstück in der Trondheimer Jugendherberge ist jedenfalls auch nicht schlecht.

Teil 3

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Von Trondheim fuhr ich am nächsten Tag weiter nach Norden. Es ging zunächst durch relativ dicht besiedeltes Gebiet, was man vielleicht nicht erwartet. Aber in der Gegend von Trondheim gibt es so etwas, was man in Norwegen Ebene nennt, unabhängig davon, daß man es in den Niederlanden als ein dem Himalayagebirge ähnliches Gebilde bezeichnen würde. Der "Trondheimfjord" ist auch kein echter Fjord mit steilen Ufern, sondern eher eine Bucht oder eine Förde, die mich auf den nächsten hundert Kilometern bis Steinkjer begleiten sollte. Aber das norwegische Wort für Förde ist nun einmal "Fjord" und weil die meisten norwegischen Förden irgendwo im Hochgebirge liegen, nennt man in unserer Sprache eben Förden im Hochgebirge Fjord. Es gab in dieser Ebene viel Getreideanbau (Gerste) und wenig Wald, so daß ich einmal wieder auf einem Zeltplatz an einem kleinen Flüßchen in Steinkjer übernachtete.

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Etwas nördlich davon kam dann ein langgestreckter See (Snåsavatn) und die Felder hörten auf es ging dann zwischen Felsen und Wäldern hindurch und mit Blick auf die Berge in der Ferne. Von einer Talbrücke konnte man einen schönen Regenbogen sehen. Den kann ich jetzt auch beim Schreiben sehen, aber dafür mußte ich mich dann umso mehr beeilen, mein Regenzeug anzuziehen. Der Regen hörte sogar bald wieder auf, ich hatte sozusagen ziemliches Glück mit dem Wetter. Die E 6 wurde ab Grong so schmal, daß Lastwagen sich nur an Ausweichstellen begegnen konnten. Zum Glück gab es von den Lastwagen nicht so viele und diese Bustouren "Skandinavien in zwei Wochen" waren auch nicht zu viel unterwegs. Es ging dann in einem engen Gebirgstal (Namdalen) hoch. Irgendwo war das Tal breit genug für einen Zeltplatz direkt neben der Europastraße, wo ich ungestört durch Autolärm schlafen konnte, nachdem ich mich an das Rauschen des Flüßchens in dem Tal gewöhnt hatte. Wenn man noch weniger Autos haben will, kann man übrigens auch eine ziemlich lückenlose Parallelstraße (N 17) nehmen, die angeblich auch asphaltiert ist. Man muß nur ab und zu eine Fähre benutzen oder das Fahrrad über einen Berg tragen, wo Wege und Straßen eine Lücke haben. In dem Gemeinschaftsraum des Zeltplatzes wollten irgendwelche Norweger gleichzeitig einen Fernseher laufen lassen, Gitarre spielen und dazu singen. Als ich sie überredet hatte, den Fernseher abzuschalten, wurde es ganz nett.

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Irgendwann brauchte ich da dann auch einmal Wasser und fragte bei Leuten, ob sie mir meine Flasche füllen könnten. Die Leute verwiesen mich auf den Wasserfall neben ihrem Haus, aus dem sie auch ihr Trinkwasser holten. Nachdem es nun in dem einen Flußtal lange Zeit so schön bergauf gegangen war, kam der Zeitpunkt, wo ich das Tal wechseln mußte. Dabei ging es dann so schön serpentierend herunter in das Tal. Da gab es dann wenigstens etwas zu sehen, weil da andauernd die Wohnmobile aus Süditalien, deren Fahrer in 2 Wochen zum Nordkap und zurück wollten, sich an die Felsen klebten. Das war vielleicht auch ganz gut so, denn die hätten nur den Anblick des Sees (Majavatn) gestört, der kurz danach kam, wenn sie es tatsächlich bis da geschafft hätten. Das war wirklich schön in diesem breiten Tal mit Mooren, Seen und Wasserfällen. Da ließ sich zum Glück auch eine etwas höher gelegenen Stelle mit guter Aussicht auf die schneebedeckten Berge an der anderen Seite des Tals zum Wildzelten finden. Leider hatte ich vergessen Skier mitzunehmen...

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In Mosjøn mündete dieser Fluß dann ins Meer und es ging dann wieder ins Landesinnere. Es war richtig warm und zum Glück kam da auch ein schöner See zum Baden, der so warm war, daß nicht nur die Einheimischen die Wassertemperatur vertrugen. Wenn man beim Schwimmen schöne Berge und Wälder an den Ufern sehen kann, ist das wenigstens nicht so langweilig, wie im Schwimmbad 1000 Meter abzuhaken. Für 1000 Meter war es dann vielleicht doch etwas kalt... Aber so ist das, die Regentage vergißt man, aber die Sonnentage bleiben in Erinnerung. Vielleicht liegt das auch an den Erinnerungshilfsmitteln, die sich bei Regen so schlecht anfertigen lassen. Nördlich des Sees ging es dann zwischen Mooren und kleinen Seen auf eine Höhe (Korgenfjell, 550 m), wo die Bäume schon dünner wurden. Es gab nur Birken, die in größeren Abständen wuchsen und nur bis zu etwa drei Metern Größe kamen. Da oben gab es dann diese Campinghütten, die auf fast allen norwegischen Zeltplätzen zu finden sind und sie ließen mich dann zum Preis von 1000 Kronen pro Auto für eine Nacht dort bei den Hütten zelten, obwohl dieser "Zeltplatz" eigentlich nur für das Übernachten in Hütten vorgesehen war. Mein Zelt hatte ja eine Tarnfarbe, die da zwischen den verschiedenen Pflanzen nicht so auffiel. Allerdings behielt es seine Restauffälligkeit bei, weil der Boden oben zu trocken zum Einsinken war, obwohl etwas weiter unten noch überall das rote Moorwasser herausquoll.

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Runter ging es dann wieder so steil und kurvig, daß auch die norditalienischen Wohnmobile ab da wegfielen oder spätestens unten mit ihrem Fahrzeug zusammen im Fjord baden gingen. Man sollte einmal darauf achten, daß Wohnmobile so konstruiert werden, daß sie das Wasser nicht zu sehr verschmutzen. Dann ging es neben einer der vielen alten Wikingerstraßen entlang bis Mo i Rana. Die Wikinger benutzten ja gerne Boote oder Schiffe, die sich schlecht über die Pässe tragen ließen, weshalb sie den Seeweg bevorzugten. Ich weiß nicht, ob man zu der Zeit so weit im Norden schon Getreide anbauen konnte, aber Fische dürfte es wohl damals schon gegeben haben. Sicherheitshalber entfernte ich mich aus dem Aktionsbereich dieser Drachenschiffe und fuhr im nächsten Tal ein Stück hoch, in der Hoffnung, daß solch ein Boot Wasserfälle nur abwärts fahren kann. Wie das so ist, wird man ja in irgendeinem Alter langsam dekadent und geht lieber zum Zeltplatz mit Infrastruktur und anderen Reisenden, anstatt wild zu zelten, und das auch schon nach gut 100 Kilometern. Es reichte wohl, um ein bestimmtes Auto über mehrere Tage regelmäßig zu überholen, wenn die Fahrer eine Pause machten, aber die echte Radtour hat jemand aus Braunschweig gemacht, den ich ein paar Jahre davor in Trondheim in der Jugendherberge traf und der so 250 km bis 350 km pro Tag fuhr, eben 24 Stunden am Tag und ab und zu auch noch ein Stück in der Nacht, um in vier Wochen zum Nordkap und zurück zu kommen. Dafür bin ich dann auch bergab so langsam gefahren, daß ich trotz der jeden Winter entstehenden geringfügigen Unebenheiten des Asphalts noch etwas von der Landschaft sehen konnte.

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Am nächsten Tag war dann die Sensation des Jahrhunderts fällig. Es ging über die Baumgrenze und sah schon richtig wie eine Tundra aus. Da kam dann auch der Polarkreis. Das war sehr sehenswert, weil da gerade ein Touristenbus ankam und alle sich vor dem Stein, der den Polarkreis markiert, fotografieren ließen. Da brauchte ich dann wenigstens keinen Selbstauslöser, um mich dieser Unsitte anzuschließen. Das Leerkaufen des Souvenirladens konnte ich mir dann allerdings doch noch verkneifen. Aber kurz danach ging es dann wieder nach unten, es gab wieder Wald und sogar ein Getreidefeld. Das Tal hieß jetzt "Saltdalen" (Salztal). Logischerweise trug es diesen Namen ungefähr bis zu der Stelle, wo der Süßwasserfluß aufhörte und das Salzwasser anfing. Da gab es dann so eine von diesen Küstenstraßen, die man nach einem kurzen Blick auf die Karte für flach hält, die aber in Wirklichkeit durchaus am Hang etwas hoch und runter klettern. Kurz vor Fauske suchte ich mir dann einen schönen kleinen Zeltplatz...

In Fauske war dann in gewisser Hinsicht das Ende der Welt. Die Bahnlinie geht von dort nur noch zur Küste und es gibt nur noch die E 6 und das Meer als Verkehrswege. Aber es reizt einen ja immer, über das Ende der Welt hinauszufahren, vielleicht mit etwas Herzklopfen, aber frohen Mutes. Jetzt kamen massenweise Tunnels von ein bis zwei Kilometern Länge. So wurde ein Fjord, über den es nach meiner Karte eigentlich eine Fähre geben sollte, umfahren und die Gebühren für diese neue Straße waren (nur) für Radfahrer dadurch auf Null gesunken. Ein Tunnel war sogar fünf Kilometer lang, war aber schnell zu durchfahren, weil es bergab ging. Es stellte sich heraus, daß es hier in größeren Abständen sogar noch Dörfer und sogar einen Zeltplatz in Kråkmo gab, nachdem es über dutzende von Kilometern durch unbewohnte Felsenlandschaft gegangen war. Irgendein Lastwagenfahrer hatte arge Schwierigkeiten, auf einer starken Steigung anzufahren, nachdem er sich von mir die Information geholt hatte, daß ich nicht bei ihm mitfahren wollte. Dabei war ich keineswegs der einzige Radfahrer der in der Gegend eine längere Fahrt machte. Vielleicht der einzige, der nicht zum Nordkap fuhr?

Auf dem Weg zum Nordkap gab es vor zwanzig Jahren vielleicht fünf oder sechs Fähren, auf meiner Karte nur noch drei und in der von mir vorgefundenen Wirklichkeit nur noch zwei, davon eine zum Erreichen der Insel, an deren Nordende das Nordkap liegt. Alle anderen sind durch große Brücken oder Umfahrungen ersetzt worden, aber die eine Fähre über den Tysfjord gibt es wohl auch jetzt noch. So kam es, daß ich mich dort wieder einem Wasserfahrzeug anvertrauen mußte. Vielleicht 50 km vor Narvik fragte ich einen Bauern, ob er etwas dagegen hätte, wenn ich in der Nähe (100 m) seines Hauses irgendwo zwischen diesen niedrigen Birken wild zelte. Er hatte nichts dagegen und sein kleines Kind kam dann irgendwann vorbei und besichtigte mein Zelt von innen und außen. Aber Ihr könnt Euch denken, daß es all seine frisch gelernten Wörter, die wohl schon weit über meinen Wortschatz hinausgingen, verwendete und daß es sich überhaupt nicht vorstellen konnte, daß ein Erwachsener nicht alles versteht. Das war schon witzig, wie so ein kleines Kind Norwegisch spricht. Klingt viel schöner als bei erwachsenen Sprachanfängern. Inzwischen habe ich geheiratet und wir haben selber einen kleinen Sohn, den wir in dieselbe Gegend schleppten, als er 1 1/2 Jahre alt war, allerdings mit dem Zug und nicht mit dem Fahrrad. Das ist aber eine andere Geschichte...

Teil 4

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Nun, den Rest des Weges bis Narvik schaffte ich am nächsten Tag. Schon lange vorher konnte man über das Wasser die Erzverladeeinrichtungen sehen, aber auch die schönen Berge vor denen die Erzschiffe wie Spielzeuge aussahen. Das, was in Trondheim so eine Entfernungsangabe (ich glaube 900) war, hatte sich als recht interessanter Weg erwiesen. Da machte ich eine Stadtbesichtigung, aus der dann eine nächtliche Stadtbesichtigung mit ein paar Einheimischen zusammen wurde, die fast bis zum Sonnenaufgang dauerte. Der war damals (ca. Ende Juli, glaube ich) aber schon so um 3 Uhr (Sommerzeit). Bei den Preisen für alkoholische Getränke war wenigstens das Finden des Zeltes hinterher garantiert nicht mit Problemen verbunden.

Irgendwann war die Sonne aber so heiß und die anderen Leute so laut, daß ich aufwachte. Es war aber wirklich hauptsächlich die Hitze. Ich machte mich dann auf den Weg nach Norden. Nach der Überquerung des dortigen Fjordes (Rombaksbotn, natürlich mit einer Brücke) gab es einen schönen Badestrand. Leider war das Wasser in dem Jahr oder an dem Tag trotz Golfstrom und Sonnenschein so kalt, daß ich nicht mehrere Minuten schwimmen wollte. Aber weil es dann ins Landesinnere gehen sollte, wollte ich die letzte Gelegenheit mit wenigstens diesen Temperaturen noch ausnutzen. Es kam nämlich die Abzweigung, wo es geradeaus zum Nordkap und nach rechts nach Schweden ging. Da bog ich rechts ab. Warum fuhr ich nicht zum Nordkap, wenn ich schon in Narvik war? Nun, das ist wohl von Narvik fast genauso weit entfernt wie Trondheim. Außerdem fährt jeder zum Nordkap. Originell wird die Sache doch erst, wenn man bis Kirkenes oder bis Jacobselv fährt, das liegt schon nah an der russischen Grenze und ist noch einmal etwa 500 km vom Nordkap entfernt. Das muß man aber dann noch sorgfältiger vorbereiten, weil das dann sehr dünn besiedelte Gebiete sind, die fast keine Infrastruktur haben, aber die unter Umständen ein subpolares Klima aufweisen. Und irgendetwas mußte ich eben auch für das nächste Mal noch aufheben. Fürs erste ist jetzt Narvik für mich das Ende der Welt.

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Die Baumgrenze ist bei Narvik schon sehr nah an den Meeresspiegel gerutscht. Aber Blaubeeren, Himbeeren und Erdbeeren gab es in der Gegend noch, sogar Multebeeren, direkt neben der Nationalstraße. Die kletterte langsam auf eine felsige Hochebene, wo dann die schwedische Grenze und die Gemeindegrenze von Kiruna kam. Von da sind es aber noch 135 km bis zu dem eigentlichen Ort, die durch fast unbewohntes Gebiet laufen. Da fand ich dann auch einen schönen kleinen See, an dessen Ufer ich zelten konnte. Ein Feuer zum Kaffeekochen ließ sich bei dem Löschwasservorrat, der auch als Trinkwasservorrat diente, dann auch verantworten. Sonst habe ich das mit einem Esbitkocher gemacht, der leicht war und ausreichte, um Kaffee oder warmen Zitronensaft (aus Vitamin C, Wasser und einem Süßmittel) zu kochen, weil man ja nicht zu viele Wälder anzünden soll.

Diese Gegend von Kiruna ist ein breites flaches Tal mit ein paar Seen neben der Straße und der Eisenbahnlinie Kiruna - Narvik direkt ein paar 100 m neben der Straße. In der Ferne waren Berge zu sehen. Die zweite Nacht in Kiruna war im Ortskern, zur Abwechslung einmal wieder in einer Jugendherberge. Die war ganz lustig aufgebaut, denn sie bestand aus einigen kleinen Häuschen, in denen jeweils ein paar Schlafräume und eine Küche waren. Wertsachen konnte man dort übrigens nicht aufbewahren lassen. "Ist noch nie etwas weggekommen." Kiruna sieht vom Baustil ein bißchen nach Ruhrgebiet aus, fand ich. Das ist ja auch ein Bergbaugebiet, allerdings mit weniger als 30000 Einwohnern. Der einst lukrative Tagebau ist allerdings schon erschöpft und jetzt wird unter der Erde abgebaut. Da gab es wenigstens etwas zu sehen, im Rahmen einer Grubenbesichtigung. Das ist immer eindrucksvoll. Das Geld für die Grubenbesichtigung wurde wegen der Einsturzgefahr natürlich vorher eingesammelt. Aber auch die Eisläden dort sind sehenswert oder zumindest schmeckenswert.

Danach ging es dann wieder weiter durch die große Stadt Kiruna, die auch nach Osten eine große Ausdehnung hat. Auf der Südostseite gab es dann auch wieder Wald. In Svappavara bog ich ab nach Osten, wo mich ein dreistelliges Nationalsträßchen über Vittangi bis kurz vor Masugnsbyn führte, was alles noch zu Kiruna eingemeindete Orte sind. Da gab es dann einen schönen Rastplatz. Der diente gleichzeitig als Selbstbedienungsfreilichtmuseum, wenn man so will. Es gab eine alte Wassermühle, die man von innen und außen besichtigen konnte und dazu ein paar Schildchen, die alles beschrieben, aber keine Kassierer oder Museumswächter. Irgendwo mußte dann auch Wasser sein. Ein kleiner See war es, der hier einen Abfluß hatte, eine Feuerstelle gab es, und Brennmaterial für ein Feuerchen zum Kochen gab es auch. Und weil es auch Platz für ein Zelt gab, wurde aus der Abendbrotpause eine Nachtpause. Man muß schon sagen, in Norwegen in den Bergen mögen ja die Tage schöner sein, aber in Schweden sind die Nächte schöner.

Am nächsten Morgen gab es natürlich wieder Kaffee aus dem Seewasser, der auf einem echten Feuer gekocht war. Dann ging es weiter nach Osten. Der Abschied von der schönen Stelle fiel schon schwer. In der Gegend laufen die Rentiere ziemlich frei herum. Die sind auch gar nicht so ängstlich wie unsere wilden Tiere und bleiben in geringer Entfernung mitten auf der Straße stehen. Wenn man dann die Kamera auspackt, bleiben sie auch stehen, aber bevor man dann so ein Bildchen davon macht, rennen sie dann doch noch rechtzeitig weg. Kamera umhängen bringt auch nichts, dann lassen sie einen gar nicht erst so nah ran. Es gab in der Gegend auch riesige sprudelnde Flüsse (Torneåälven und Kalixälven), die für die kleinen Sträßchen schon echte Barrieren bilden, die nur bei wenigen Brücken überquert werden können. Mit Angelschein darf man da auch einiges an Fischchen herausziehen. An einem Rastplatz gab es sogar einen Angelscheinautomaten. Einwurf 10 Kronen für das Formular. Die Jahresgebühr mußte man danach einwerfen und als bezahlt ankreuzen. Aber man merkte schon, daß man wieder in einem bewohnten Gebiet war, es gab alle 10--20 km kleine Orte (und wenn es auch nur drei Häuser waren...), aber dazwischen praktisch nur Wald. Bei Narken baute ich wieder das Zelt im Wald auf.

Von da ging es nach Süden am Kalixälven entlang nach Överkalix. Irgendwo kam wieder ein Polarkreis, dem ich aber wirklich nicht ansehen konnte, ob er quadratisch oder kreisförmig war. Mehr als ein kleines Schild war das nicht. Das war schon nah an der finnischen Grenze, was man auch daran merkte, daß dort jede Menge Straßensperren vorbereitet waren, so mit kleinen Bunkern auf beiden Straßenseiten. Irgendwo war dann auch ein Straßenabschnitt, der ausdrücklich nur von Schweden befahren werden durfte, weil dort ein militärischer Sicherheitsbereich lag. Ein Fahrrad hat ja kein Nummernschild und ein U-Boot mit Atombomben hatte ich auch nicht dabei. Und ich sage nicht, ob ich durch das Gebiet durchgefahren bin oder es mit einem großen Umweg gemieden habe. Jedenfalls sah die Landschaft da drinnen wahrscheinlich genauso aus, wie sonst auch (ich habe es ja nicht gesehen).

In der Nähe der nördlichen Ostseeküste kam ich dann auf die E 4 (Hamburg - Kopenhagen - Stockholm - Happaranda - Helsinki), die dort breit genug ist, damit ein Lastwagen einen anderen überholen kann, wenn ein dritter entgegenkommt. Zum Glück war die aber auch ziemlich leer und es gab da irgendwo wieder einen sehr lichten Wald zum Zelten, in dem an dem Tag ein schöner Sonnenuntergang serienmäßig eingebaut war. Diese Sonnenuntergänge kamen jetzt immer früher. Erstens kam ich weiter in den Osten, zweitens weiter in den Süden, drittens weiter in den Herbst. Der Sommer ist angeblich in der Gegend und insbesondere in Finnland auf die letzten drei Juliwochen beschränkt, die schon längst verstrichen waren. Aber wenn ich in Deutschland im Winter Radtouren machen konnte, dann kann ich auch in Lappland im Herbst fahren. Irgendwann kamen ja dann auch regelmäßig die Nachtfröste, ich weiß aber nicht, ob das in der Nacht schon anfing. Ich weiß nur, daß ich das im Zelt nicht merken konnte. Aber wenn morgens die Pfützen zugefroren waren, wird die Temperatur wohl auch irgendwann einmal unter 0 gesunken sein.

Nun ging es nach Finnland. Das ist sozusagen das nächste Abenteuer. Die Landschaft war ja im Prinzip ähnlich, wie in Schweden, und das Fahrrad war meines Wissens sogar dasselbe. Aber die Sprache ist überhaupt nicht mit der deutschen oder schwedischen Sprache verwandt. Ich malte mir schon aus, daß sich dort nichts mehr finden lassen würde. Das Wichtigste war ja erst einmal die Milch. Es gibt in Skandinavien furchtbar viele milchähnliche Getränke. Wenn man nicht weiß, wie die genannt werden oder wie das, was man haben will genannt wird, gibt es Überraschungen. Da kann man ungefähr zehn Versuche machen, bis man frische Vollmilch gefunden hat. In Norwegen heißt die "H-Melk" und in Schweden "hel-mjölk". Zum Glück hatte ich an einem dieser rauschenden Flüsse eine Familie aus Finnland getroffen, die zufällig wußte, daß das auf Finnisch "kulutus maito" heißt. Alles andere war dann nicht so schlimm. Postamt heißt Posti. Eine Seite voll finnischer Redewendungen hatte mir jemand kurz vor der Abreise noch mitgegeben. Da stand dann auch auf Finnisch drauf "Ich spreche nicht Finnisch". Aber wenn man das gesagt hat, glaubt einem das niemand mehr.

Aber ich wollte ja zum Zeltplatz nach Oulu. Es wurde ja schon früh dunkel und ich hatte mich nicht entschließen können, meine Uhr auf die finnische Zeit umzustellen. Kurz vor Oulu gab es dann so rührende Kettcarwege, die man als Radfahrer eigentlich benutzen sollte. Ab und zu waren da auch mal ein paar Stufen drin oder so etwas. Irgendwohin finden konnte man auch nicht, außer zu einer Autobahnauffahrt. Die nächste Abfahrt hatte dann einen Wegweiser zum Zeltplatz, der dann schnell gefunden war. Er war sogar noch offen, für zwei Nächte noch. Außer mir waren sogar noch andere Leute da, aber das hielt sich alles sehr in Grenzen.

Teil 5

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In Oulu blieb ich für zwei Tage auf dem Zeltplatz. Da war einmal wieder ein Ruhetag fällig. Es gab dort beim Zeltplatz auch einen herrlichen Strand, der auf irgendwelchen Postkarten auch so überfüllt war, wie ein Strand in Italien oder Spanien es sein würde, wenn das Mittelmeer sauberer wäre. Aber um diese Zeit, vielleicht Anfang August oder so, war das schon vorbei und das Wasser war mir schon zu kalt, um dort mehrere Minuten zu schwimmen. Schade. An dem Tag, als ich wegfuhr machte der Zeltplatz dann auch konsequenterweise zu. Und mit ihm wohl auch so ziemlich alle anderen Zeltplätze und Jugendherbergen. Ich nahm einmal an, daß das auch für Hotels galt. Also blieb mir nichts anderes übrig, als Tag und Nacht weiterzufahren, da wildzelten in Finnland wohl nicht so erlaubt ist, wie in Norwegen oder Schweden, obwohl es schöne Stellen dafür gab, die auch nicht so einsehbar waren, daß es jemand merkte.

Aber das mußte sich dann schon irgendwie ergeben. Jetzt fuhr ich wieder nach Süden, in Richtung Helsinki. Am Abend wollte ich irgendwo eine Bratwurst oder so etwas essen. Der Laden war leicht zu finden, er hieß "Grilli". Aber die Verkäuferin konnte nur Finnisch. Zum Glück merkte ich nach einer Viertelstunde, daß "Bratwurst" auch ein finnisches Wort ist, zufällig sogar mit der erwarteten Bedeutung. Und die Verkäuferin merkte, daß sie mir zeigen mußte, was sie anzubieten hatte,... Ich schaffte es also, mich mit ihr zu einigen. Da kam ein Finne, der sich die ganze Zeit mit ein paar anderen Leuten vor dem Laden aufgehalten hatte, herein, und fragte, ob er uns mit einer deutsch-finnischen Übersetzung aushelfen könnte. War ja nicht mehr nötig. Er lud mich ein, ihn noch einmal kurz zu besuchen, was ich dann auch vor der Suche eines Zeltplatzes im Wald tat. Da erzählte er mir dann, daß sich alle gewundert hätten, als ich mein Fahrrad vor dem Grilli abschloß. So etwas sei doch dort nicht üblich. Ein paar Jahre früher seien übrigens dort einmal zwei Amerikaner auf einer Radtour vorbeigekommen. Die hatten ganz alte Fahrräder, einer konnte nur Russisch, der andere konnte mit starkem russischen Akzent ein bißchen Englisch. Die wollten Rubel in Dollar oder Finnmark tauschen....

Wenn das keiner merkt, daß man im Wald zeltet, dann merkt das keiner. Südlich von Piipola merkte das keiner. Nördlich von Kuopio merkte das komischerweise auch keiner. Irgendwie ließ sich eine Stelle im Wald finden, die so gut durch eine dichte Blätterwand verdeckt war, daß es keiner sehen konnte. Und Fahrräder darf man doch wohl auch in Finnland für eine Nacht im Wald abstellen, oder? Es gab da einen riesigen Wald, der ab und zu durch Seen oder Städte unterbrochen wurde. Kurz vor Kuopio ging die Straße auf einer schmalen Landzunge zwischen zwei Seen hindurch. In Kuopio gab es dann gutes Essen, warmes Essen im Supermarkt. Überhaupt war das Essen in Finnland wirklich gut, wenn auch nicht so billig. Die Leute sind auch sehr nett (und sehr ehrlich und sehr gastfreundlich), man merkt es nur nicht so schnell, weil man die Sprache nicht so versteht und weil die Tragweite des Inhalts der Äußerungen sich nicht in der Betonung wiederspiegelt, wenn eine andere Sprache als Finnisch zur Anwendung kommt.

Die nächste Nacht verbrachte ich bei einem Feuchtgebiet zwischen Kuopio und Jyväskylä. Es gab ja keine Übernachtungsmöglichkeit. Nirgendwo tauchte so etwas wie ein Zeltplatz auf. Es wurde dann auch schon bald dunkel. Bei der nächsten Abzweigung eines Waldwegs beschloß ich, da zu zelten. Witzigerweise sind die Stellen zum Zelten in 80 Prozent der Fälle rechts von der Straße, aber hier war nichts zu machen. Alles Moor oder Sumpf, zu beiden Seiten des abzweigenden Weges, und vielleicht sogar Mücken. Auf der linken Seite ging es ein bißchen hoch. Da schob ich den Weg ein ganzes Stück weit. Etwas weg vom Waldweg waren Felsenblöcke von wenigen Metern Größe verstreut. In einem Zwischenraum zwischen diesen Steinchen war eine schöne flache Stelle, die für ein Zelt groß genug zu sein schien. Beim näheren Hinsehen erwies sie sich leider als Tümpel. Da ich kein aufblasbares Zelt mithatte und nicht auf das Zufrieren warten wollte, bevorzugte ich solch eine freie Stelle neben dem Weg, die dem Zelt genug Platz bot, ohne daß der Weg dadurch versperrt wurde. Am nächsten Morgen sah ich mir die Gegend etwas genauer an, was mir ein kleiner Hochsitz erleichterte. Dort wurde gerade ein Nadelwald aufgeforstet. Drei oder vier Meter hatten die Bäumchen schon und ein bißchen Erde unter den Bäumchen gab es auch zwischen manchen Felsenstückchen, nicht nur Wasser.

Zwischen Jyväskylä und Tampere fand ich (natürlich wieder als es schon dunkel war) eine kleine Waldwiese. So langsam kamen dann auch Ackerbaugebiete zwischen den Wäldern und Seen vor. Dichter besiedelt wurde es auch. Aber witzigerweise war die Gegend an der Nordseite der Ostsee, zwischen der schwedischen Grenze und Oulu auch recht dicht besiedelt. Weiter im Osten war das dann natürlich anders, aber jetzt ging es ja auch wieder in Richtung Küste. Zwischen Tampere und Turku suchte ich mir wieder nach Einbruch der Dunkelheit eine schöne Stelle zum Zelten. Das war in der Nähe einer landschaftlich reizvoll gelegenen Kiesgrube, wie sich am nächsten Morgen herausstellte.

Im Stadtpark von Turku (schwedisch Åbo) wollte ich dann am nächsten Abend doch nicht zelten. Ausnahmsweise war es ja auch noch so hell, daß ich das nicht aus Versehen machen konnte. Und ausnahmsweise hatte in Turku auch die Jugendherberge noch offen. So suchte ich die auf und kam einmal wieder mit anderen Leuten zusammen. Turku ist eine sehr schöne Stadt. Irgendwo gibt es einen alten Stadtteil, der zum Freilichtmuseum geworden ist und wo vorgeführt wird, wie die Handwerker früher gearbeitet haben. Ein alter Professor aus Karlsruhe war zufällig am selben Tag in Turku und sah mich dort wohl auch. Aber ich war angeblich so in Gedanken versunken, daß er glaubte, eine neue wissenschaftliche Erkenntnis sei auf dem Weg und dürfe von ihm nicht gestört werden. So sah ich ihn nicht... Sooo klein ist die Welt nun auch wieder nicht.

Am Abend machte ich mich dann auf den Weg nach Naantali, wo ein Nachtschiff nach Kappelskär (100 km nordöstlich von Stockholm) über die Ostsee fuhr. Das war übrigens extrem billig, sogar mit Kabine. Die Zeit war auch so kurz bemessen, daß man fast die ganze Schiffsfahrt verpennen mußte, um am nächsten Tag noch die Fähigkeit zum Verlassen des Schiffs zu haben. Den Stockholmer Stadtverkehr tat ich mir an dem Tag allerdings nicht mehr an. Lieber sah ich mir noch in Vaxholm ein bißchen die Schären und eine alte Festung an. Dort scheint das Bootfahren so attraktiv zu sein, daß es sogar eine Bootstankstelle auf einem Steg gab. Für mich müßte es schon ein Ruderboot oder wenigstens ein Segelboot sein, aber die gab es da ja auch. Am Abend besuchte ich Verwandte, die zu der Zeit in einem Stockholmer Vorort (Täby) lebten.

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Am nächsten Tag kam dann die Ortsdurchfahrt durch Stockholm. Das ist vom Fahren her weniger angenehm, wenn ich auch durch eine längere Pause in der schönen Altstadt belohnt wurde. Hier war jetzt auch der Sommer noch nicht ganz vorbei. Landschaftlich ist die Stadt sehr schön gelegen. Im Osten ist das Meer, eine mit beliebig vielen kleinen bewaldeten Felsinselchen (Schären) bedeckte Bucht, im Westen ist der Mälarsee und insbesondere im Süden steigen die Felsen etwas höher an. So liegt die Stadt selbst auch teilweise auf verschiedenen Inseln, die durch viele Brücken verbunden sind. Irgendwie fand ich dann auch den Weg aus der Stadt heraus nach Södertälje, von wo ich der E 3 in Richtung Göteborg folgte. In Gripsholm kam ich an einem der schönsten Schlösser Schwedens vorbei (ja, das ist hier wirklich wieder ein bewohntes Gebiet) und in Strängnäs fand ich einen schönen Zeltplatz. Aber am Abend danach war ich noch dekadenter und baute nicht einmal ein Zelt auf, sondern ging in die Jugendherberge in Örebro.

Irgendwo überquerte eine Frachtseilbahn die Straße. Sie fuhr nicht und ich weiß auch nicht, welchem Zweck sie einmal diente. Bis Kiruna reicht sie aber wohl nicht, denn dort habe ich nichts derartiges gesehen. Südlich von Örebro fuhr ich wieder auf der A 3 bzw. später auf der E 3 weiter. Solch eine schwedische Autobahn fährt sich doch gut. Sehr viel weniger Autos als auf einer deutschen Bundesstraße, beidseitige Radstreifen, Höchstgeschwindigkeit 110, kein Querverkehr,... Aber die hörte südwestlich von Örebro auch bald wieder auf und die E 3 war dann wieder eine normale Nationalstraße mit beidseitigem Radstreifen. Jetzt kamen wieder mehr Wälder und weniger Felder. Die Bauernhäuser waren natürlich alle dunkelrot gestrichen. Und die Seen wurden langsam wieder etwas wärmer. In Lyrestad kreuzte ich den Götakanal. Das ist eine Binnenwasserstraße von Söderköping an der Ostküste nach Göteborg, der heute insbesondere von einem Passagierschiff, das von Stockholm in 2 1/2 Tagen nach Göteborg fährt, benutzt wird. Zufällig kam das Schiff auch gerade vorbei. Aber so bin ich ja nicht gerast, ich brauchte vier Tage. Andererseits schafft man es mit dem Zug heute sogar in drei Stunden. Ich habe mir eben etwas Zeit gelassen, die schönste Umschreibung für "Trödeln". Aber im Urlaub darf man das ja auch einmal. Die Stellen im Wald zum Zelten gab es natürlich noch. In der Nähe von Skara sah ich mich danach etwas genauer um. Es gab eine schöne Möglichkeit im Wald ohne "widowmaker". Ich fragte Leute, deren Haus in der Nähe stand, ob sie etwas dagegen hätten, daß ich da zelte. Die waren nur über die Frage verwundert.

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Am nächsten Tag machte sich dann auch irgendwann Göteborg aus der Ferne bemerkbar, wo ich noch eine Nacht (schon wieder in einer Jugendherberge, die aber nicht den höchsten Standard hatte) blieb, um am nächsten Tag ein bißchen die Stadt anzusehen und eine Grachtenrundfahrt zu machen. Abends fuhr ich wieder auf ein Schiff. Die Ausfahrt aus Göteborg war sehr reizvoll. Es gab auch hier viele kleine Felsinselchen (Schären), aber die sind auf der Göteborger Seite alle unbewaldet. Erst nach einer Stunde kam das offene Meer. Morgens kam ich in Kiel an. Nach einer so langen Reise freute ich mich dann, wieder in Deutschland zu sein. Allerdings mußte ich mich erst wieder daran gewöhnen, daß die Leute in den Läden, insbesondere in den Eisläden, kein Schwedisch konnten.

Wer sich noch genauer für die Kilometer und die genauen Kalendertage interessiert, kann hier noch eine kleine Tabelle mit solchen Informationen finden. Durchschnittsgeschwindigkeiten habe ich damals aber noch nicht gemessen.

Tabelle

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Diese Tabelle enthält noch ein paar Informationen über die Kilometer, die Straßen u.s.w. von der Radtour vom Sommer 1987.

Datum Weg Ziel Tages-
strecke
1987-07-21 (2)X - N 3/E 4 - X - N 43Gelnhausen195
1987-07-22 (3)N 40/E 4 - N 27/E 4Göttingen221
1987-07-23 (4)N 3/E 4 - N 248 - N 4 - X - N 4Lüneburg235
1987-07-24 (5)N 4 - N 404 - X - N 404Kiel145
1987-07-25 (6)-Kiel (Ruhetag)-
1987-07-26 (7)-Kiel (Ruhetag)-
1987-07-27 (1)-Kiel (Ruhetag)-
1987-07-28 (2)-Kiel (Ruhetag)-
1987-07-29 (3)KielStena Fähre (Nachtfahrt)-
1987-07-30 (4)N 45/E 6 - N 45Säffle201
1987-07-31 (5)N 45 - E 18 - N 62Ekshärad (Zeltplatz am Klarälven)168
1987-08-01 (6)N 62 - N 26 (Norwegen)Wald südl. Trysil141
1987-08-02 (7)N 26Wald westl. Femundsee133
1987-08-03 (1)N 26 - N 30Zeltplatz nördl. Røros137
1987-08-04 (2)N 30 - E 6Trondheim106
1987-08-05 (3)TrondheimTrondheim (Ruhetag)17
1987-08-06 (4)E 6Steinkjer161
1987-08-07 (5)E 6Nähe Namsos143
1987-08-08 (6)E 6Nähe Majavatn109
1987-08-09 (7)E 6zw. Mosjøn u. Mo i Rana84
1987-08-10 (1)E 6zw. Mo i Rana u. Polarkreis119
1987-08-11 (2)E 6Fauske113
1987-08-12 (3)E 6Kråkmo84
1987-08-13 (4)E 6nördl. Tysfjord104
1987-08-14 (5)E 6Narvik68
1987-08-15 (6)E 6 - N 70 - N 98Kiruna (1)52
1987-08-16 (7)N 98Kiruna (2)128
1987-08-17 (1)N 98 - XKiruna (3)115
1987-08-18 (2)XWald nördl. Happaranda93
1987-08-19 (3)X - E 4Wald (nahe Happaranda)159
1987-08-20 (4)E 4 - E 4/N 4Oulu148
1987-08-21 (5)OuluOulu (Ruhetag)11
1987-08-22 (6)E 4/N 4 - N 19Piipola107
1987-08-23 (7)N 19Wald nördl. Kuopio135
1987-08-24 (1)N 9/E 80Wald zw. Kuopio und Jyväskylä121
1987-08-25 (2)N 9/E 80Wald zw. Jyväskylä und Tampere147
1987-08-26 (3)N 9/E 80Wald zw. Tampere und Turku146
1987-08-27 (4)N 9/E 80Turku (Jugendherberge)75
1987-08-28 (5)Turku; E 3Schiff nach Schweden27
1987-08-29 (6)E 3 - X - E 3Täby129
1987-08-30 (7)E 3Strangnäs121
1987-08-31 (1)E 3Örebro118
1987-09-01 (2)E 3Wald bei Mariestad147
1987-09-02 (3)E 3Göteborg (Jugendherberge)139
1987-09-03 (4)GöteborgSchiff (Kiel-Göteborg)11
1987-09-04 (5)-Kiel (Ruhetag)-